Kultur: Swingen im Kontrapunkt
Das Eröffnungskonzert der Bachtage 2011
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Auch vor mehr als 250 Jahren lassen die Herren Compositores die beliebte Frau Musica immer wieder Klagelieder darüber anstimmen, dass deren Spiel zwar vielen Ohren angenehm sei, doch gäbe es „ihrer viel, denen du verächtlich bist“. Worauf die betrübte Muse anhaltend klagt: „Schweigt ihr Flöten, schweigt ihr Töne geht ihr armen Lieder hin, weil ich so verlassen bin“. Als Rettung werden schon damals Gönner, Wohltäter, Spender, kurzum: Sponsoren jeglicher Couleur herbeigeschrieben und -gesungen.
Johann Sebastian Bachs Huldigungskantate „O angenehme Melodei“ BWV 210a kündet auf barocke, PR-trächtige Weise eindrucksvoll davon. Gewidmet ist sie zunächst dem Grafen Joachim Friedrich von Flemming, dem Gouverneur von Leipzig, später allen Mäzenen von Wissenschaft und Kunst. Mit dieser „Sponsorenkantate“ setzt sich das Eröffnungskonzert der Bachtage am Samstag im Schlosstheater sein mit Bravorufen bekröntes Finale.
Was vor allem der Dresdener Sopranistin Heidi Maria Taubert zu danken ist, die die überlieferte Solostimme in überaus klarer, aber dennoch teilweise textunverständlicher Diktion vorträgt. Und auch manierierte Vokalverfärbungen tragen nicht gerade zur Minimierung jenes Mankos bei, das sowohl in den auf Perfektion getrimmten, straff artikulierten Rezitativen als auch in den affektreichen Arien ohrenfällig wird. Die Töne trifft sie kraftvoll, höhensicher und koloraturenflink. Ihren Sopran führt sie dabei instrumental, vibratolos, wodurch eine gewisse Herbheit entsteht. Herz und Verstand fühlen sich solcherart angesprochen. Und wer von den Mäzenen in spe würde sich der Bitte um ein „wünschend Opfer“ mit der Aussicht auf Ruhm „in alle Zeit“ widersetzen wollen?! Drum: „Seid vergnügt, werte Gönner, werte Gönner, seid vergnügt!“
Sie sind’s, zumal ihnen das vorzügliche Instrumentalensemble „Exxential Bach“ mit Bachtage-Chef Björn O. Wiede am Cembalo zusätzlich angenehme, erfrischend musikantisch musizierte Melodeien darbietet. Solistisch gibt es von ihnen ebenfalls Bestechendes zu hören. In der Kantate ist es die Traversflötistin Jana Semerádová aus Prag, die die Arie „Schweigt ihr Flöten“ mit ebenmäßigen Klanglinien garniert. In der Suite h-Moll BWV 1067 ist ihr faszinierendes Können dann durchgängig gefragt, sodass sich fast von einem Flötenkonzert sprechen ließe. Doch sie fühlt sich gleichsam als Primus inter Pares, bläst mit schier unendlichem Atem die schönsten Legatolinien, schreitet mit den anderen gravitätisch die Ouvertüre aus, gibt sich fröhlich und kapriziös, empfindsam, dann wieder elegant und stolz, schließlich ausgelassen – Stimmungsvielfalt wohin man hört.
Alle beteiligen sich daran, lieben den intonationssauberen, affektbetonten „ziehenden“ Klang. Anhaltende Stimmarbeiten auf den barocken und darmsaitenbespannten Streichinstrumenten bezeugen die Bemühungen um einen authentischen Klang. Exzellent wissen ihn der polnische Oboist Marek Niewiedzial und der Austropotsdamer Geiger Wolfgang Hasleder im entsprechenden Doppelkonzert BWV 1060 zu erzeugen. Köstlich ihr geschmeidiger Wettstreit mit lustigem Frage- und Antwortspiel, ihr Zwiegesang voller Wärme und Innigkeit, ihr Swingen im Kontrapunkt. Von Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel, der bei Friedrich II. als Cembalist und Kammermusiker angestellt ist, spielt Björn O. Wiede eingangs dessen leidenschaftlich bewegte, virtuose, mit harmonischen Widerborstigkeiten reich versehene C-Dur-Sonate. Das Publikum ist von dem Bachtage-Auftakt begeistert, rührt fleißig und laut die Hände.
Peter Buske
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