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Von Lore Bardens: Tanz den Kampf

Höhepunkt der Chin-A-moves-Tage in der fabrik: „The left cheek“ von Zuhe Niao

Stand:

Die Bühne war übersät mit zerknüllten Zeitungen, links vorn ein kleiner roter Platz ausgespart, auf dem sich zwei mönchartige Gestalten krümmten, im Papierberg standen drei Menschen, ein dicklicher Mann, zwei sehr dünne junge Frauen, die eine mit dem typischen chinesichen Zopf, die andere mit den typischen schwarzen halblangen chinesischen Haaren – sie standen da und warteten, bis ein Signal sie in Bewegung versetzte, derweil ein Mann auf der linken hinteren Bühnenseite weitere Zeitungen zerknüllte und auf den Papierberg warf.

Die drei Gestalten, die jeweils in ihrer untypischen chinesischen Typologie darauf hinwiesen, dass auch Chinesen Individuen sind, kehrten eine weiße Tanzfläche frei. Der dickere Chinese setzte sich kurzerhand in den Zeitungsberg, die Mönchsgestalt von vorne gesellte sich in die Mitte und entpuppte sich als dritte Tänzerin, sie hatte kurzgeschorenes Haar, fast eine Glatze. Die drei begannen einen Tanz, der aus symmetrischen Bewegungen bestand, die von Bedrohung, Aufmüpfigkeit, Selbstbehauptung bis zur Unterdrückung alle Arten von Ausdruck enthielten, die man in sie hineinlesen wollte. Abrupte Stopps und Verharren in Kung Fu-Positionen sowie kalligraphische Zeichen, die auf den Bühnengrund projiziert wurden, thematisierten das, was wir von der chinesischen Kultur wissen: Konfuzianismus, Gehorsam, Kampfsport, Körper- und Massenbeherrschung, während der Mann im Zeitungsberg jetzt aus roten Krepppapierbahnen Jubelfähnchen riss, die aber schon im Entstehen ihre Bedeutung zu verlieren schienen.

Das Stück des Shanghaier Kollektivs Zuhe Niao um Regisseur Zhan Xian produzierte eine Spannung, die das Publikum im voll besetzten Saal der fabrik am Samstagabend atemlos mitgehen ließ. Der Titel „The left cheek“, die „linke Wange“ wurde während des Tanzes aufgenommen, als die Frauen ihre eigene linke Wange erst streichelten, dann darauf herum klopften, als handele es sich um eine fernöstliche Gesichtsmassage, aber fester und fester schlugen, als handele es sich um eine Selbst- und Fremdbestrafung. Auf der linken Wange einer der Tänzerinnen erschien dann auch symbolisch die rote Farbe, wohl auch als Zeichen des politischen Drucks.

Der Tanz wurde kurzfristig von den drei weiteren Beteiligten abgebrochen, sie beanspruchten – vielleicht als Zensurfunktionäre – nun die Bühne für sich und hopsten ungelenk über die Markierungen, was lustig-täppisch wirkte, in China aber sicher einen ernsten Hintergrund hat. Am Ende erschienen die Kalligraphien nicht nur auf dem Tanzboden, sondern auch auf dem Körper eines der drei Männer als rote Brandzeichen, die, so sehr sie sich auch bemühten, die jungen Frauen nicht abreiben konnten.

Diese vielfältig symbolische Parabel um den Kampf des Individuums um Selbstbehauptung war zweifellos der Höhepunkt der „Chin-A-moves“-Tage in der fabrik, die von Freitag bis Sonntag Untergrund-Gruppen aus dem Reich der Mitte präsentierten. Es war ein Blick in eine fremde Kultur, ein Blick in Kämpfe, die aber irgendwie doch vertraut vorkamen und die durchaus, wenn auch nicht in ihrer gesamten Sinntiefe, Verständnisebenen boten, in die sich auch der westliche Besucher hineinversetzen konnte.

Eingeleitet wurde diese Einsicht in die andere Welt mit einem ironisch-spitzen Vortrag des Regisseurs Zuhe Niao, der intelligent und wortgewaltig die Perfidie des Systems entlarvte. Zu sehen waren außerdem Filme von Li Ning, deren Schauplatz riesige Investmentruinen sind, die es wohl häufig gibt im aufstrebenden China. Nackte Körper laufen an Wänden hoch, sie vollführen Kopulationsbewegungen auf den Rohbaubrüstungen oder hängen von den Eisenverstrebungen der Decke baumelten, als seien sie Säcke. Beziehungsreich auch die Performance „Question mama“ von Nunu, die den Kampf jungen Lebens um Selbstbehauptung thematisierte.

Auch da spielte die Farbe Rot eine große Rolle – und welch eine Erleichterung war es bei der „linken Wange“, als sich die Tänzerinnen, über die Funktionäre triumphierend, aus ihren schwarzen Roben geschält hatten und nun gestreifte oder gar ganz grüne T-Shirts trugen. Ohne, dass hier viel Worte gemacht wurden, und die, die gesagt wurden, waren präzise und scharf, wurde den Besuchern ein Spektrum des aktuellen kulturellen Geschehens Chinas präsentiert, das staunen ließ. Die Gruppen umgehen die Zensur, indem sie keinen Eintritt verlangen und sich anderweitig finanzieren. Den offiziellen Betrieb nennt Zhang Xian „Nationaltheater“, das zu einer „gesetzlich definierten Modelloper des neuen Theaterstaats VR China“ geworden ist.

Lore Bardens

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