Kultur: Tanz ist kein Restaurant
Eine Befragung des Andersartigen: Jérôme Bel und Pichet Klunchun in der fabrik
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Die beiden Männer haben sich nicht viel zu sagen, scheint es. Sie sitzen einander auf zwei Stühlen gegenüber, nicht angespannt, aber auch nicht wirklich gespannt. Sie sitzen eben. Sehen sich an, ein großer Sicherheitsabstand zwischen ihnen. Schweigen. Nach einer ersten Stille rafft Jérôme Bel sich zu einer Frage auf, der ersten eines langen Katalogs: „What’s your name?“ Andere Fragen folgen, abgelesen vom Laptop: „Where do you live?“, „Are you married?“, „Why did you become a dancer?“
Der Befragte antwortet geduldig. Dass er Pichet Klunchun heißt und Meister des thailändischen Khon-Tanzes ist, steht auch auf dem Programmzettel. Aber es ist bezeichnend für „Pichet Klunchun and myself“, dass der Choreograf Jérôme Bel auch und gerade das Offensichtliche abfragt: Er spielt die Rolle des Naiven, völlig Unwissenden, des ahnungslosen westlichen Bildungsbürgers. Kurz, er spielt unsere Rolle, die der Zuschauer – und zwar in einer selbstgewissen Beharrlichkeit, die sich im Verlauf des Abends peu à peu als Provokation herausstellt. Denn Bel konfrontiert uns mit den eigenen Vorurteilen. Klunchun erzählt etwa von den Kämpfen in seinem Theater. O.K., sagt Bel, dann zeig doch mal richtige Action. Klunchun folgt der Bitte, schnippt ein unsichtbares Sandkorn zwischen kleinem Finger und Daumen in Bels Richtung. Der ist enttäuscht: „Some real violence, you know?!“
So reihen sich Erwartungen, enttäuschte Klischees und Missverständnisse aneinander. In winzigen Schritten erklärt Klunchun Bel das Alphabet seines Tanzes – eines Tanzes, in dem jede minimale Bewegung, jede Fußstellung, jeder Abstand, jede Drehung eine bestimmte Bedeutung hat und letztlich dem immer gleichen Prinzip des Kreises folgt. Bel spitzt die Lippen und schweigt.
„Pichet Klunchun and myself“ ist kein „Dialog der Kulturen“, keine multikulturelle Wir-sind-unterschiedlich-aber-gehören-zusammen-Veranstaltung. Der Abend ist bewusst eine Befragung des Gegenübers, des Andersartigen, die das Fremde fremd sein lässt. Als Klunchun etwa zu einem Exkurs in die thailändische Geschichte und Kultur ausholt, um zu erklären, warum er Tänzer geworden sei, verdecken Bels höflich, scheinbar ermutigende Kommentare – „Aha“, „I see“, „Nice“ – nur notdürftig, dass er eigentlich nichts versteht. Wie auch: In einer Stunde einen Tanz erklären, der mit der Philosophie, der Geschichte und Lebensauffassung einer völlig fremden Kultur verwoben ist. Unmöglich.
Entstanden ist das Stück bereits Ende 2004 für das Bangkok Fringe Festival, zu dem Jérôme Bel eingeladen worden war. Der Abend sei ein choreografisches Dokument vom ersten Treffen der beiden, hat Bel im Nachhinein einmal etwas kokett erklärt. Das ist fast fünf Jahre her, aber das Naive, Staunende, das Nicht-Verstehen ist dem Abend erhalten geblieben.
Im letzten Teil wird das Fragespiel umgedreht, befragt Pichet Klunchun Jérôme Bel. Hier wird nun die Philosophie Bels, und damit ein Tanz, der sich im Gegensatz zu Klunchuns Khon nicht über Können und Konventionen einer Choreografie bestimmt, angerissen: dass Bels Konzepte von Literatur und Philosophie beeinflusst sind, dass er vom Publikum nicht Bewunderung will, sondern Überraschung und Auseinandersetzung. Und vor allem, dass er nicht Erwartungen bedienen, sondern sie brechen will: „Tanz ist doch kein Restaurant“.
So ähnlich hatte das Klunchun gesagt, als er erklärte, warum es trotz der vielen Kämpfe im Khon-Tanz keinen Tod auf der Bühne gibt: Tod ist darstellbar nur im eigenen Kopf. Als Bel zur Illustrierung eine seiner Lieblingsszenen tanzt, deutet sich die Parallele behutsam an: Zur Musik von „Killing me softly“ sinkt er langsam zu Boden, bleibt dann einfach liegen, minutenlang. Hier, in der Anerkennung des Nicht-Darstellbaren, treffen sich die beiden Künstler dann doch, einen Augenblick lang.
Der Augenblick wird nicht dauern, die Unterschiedlichkeiten der beiden Kulturen überwiegen am Ende. Für Sentimentalität ist in Jérôme Bels Choreografie kein Platz. Und doch zeigt er, wie man sich punktuell treffen kann, auch ohne sich zu verstehen.
Lena Schneider
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