Kultur: Tanz mir den Derwisch
Concerto Köln und Ensemble Sarband mit orientalischer Traumdeutung im Nikolaisaal
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Concerto Köln und Ensemble Sarband mit orientalischer Traumdeutung im Nikolaisaal Schrecken und Verklärung, kaum ein anderes Volk als das der Türken hat sich in der europäischen Vorstellung so stark zwischen diesen beiden Extremen bewegt. Seit dem ausgehenden Mittelalter bis zum Jahre 1683, als ein türkisches Heer zum letzten Mal Wien belagern sollte, war das Bild von den Türken von Entsetzten geprägt. Als Erbfeind der Christenheit apostrophiert, galt der türkische Krieger für viele als der Leibhaftige persönlich, in seiner Grausamkeit unübertroffen. Mit der schwindenden Gefahr kam das gesteigerte Interesse an der Lebensweise des Volkes aus dem Orient. Aus der Türkennot wurde die Türkenmode an europäischen Herrscherhöfen. Das Bild der Türken nun verklärt, verkitscht als ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Vor allem in der Musik des 18. Jahrhunderts fand diese Auseinandersetzung mit der türkischen Kultur statt. Ob Militärmusik oder die so genannten Türkenopern, das Exotische wurde zum beliebten Stilmittel. Mit „Der Traum vom Orient“ war das Programm des 1. Potsdamer Crossover Konzert der neuen Saison im Nikolaisaal überschrieben. Die Musik des 18. Jahrhunderts verbunden mit traditionellen türkischen Kompositionen als frühzeitlichen „völkerverständigenden Brückenschlag“ zu präsentieren, wie Moderator Christian Schruff formulierte, war das Ziel des Barockorchester Concerto Köln, unter der Leitung von Werner Erhart, und des fünfköpfigen Ensembles Sarband, unter der Leitung von Vladimir Ivanoff, das sich auf die Rekonstruktion alter orientalischer Musik spezialisiert hat. Mit der Ouvertüre zu Christoph Willibald Glucks (1714-1787) Oper „Die Pilger von Mekka“ eröffnete das Concerto Köln den Abend. Und schon hier zeigte sich, wie damals die Auseinandersetzung mit der türkischen Musik in den europäischen Kompositionen verstanden wurde. Treibende Streicher, das Zackige der osmanischen Militärkapellen imitierend, und dazwischen die Piccoloflöten als atonale Querschläger. Das sollte unterhalten, vor allem Spaß bereiten und gleichzeitig persiflieren, denn allzu viel Ernsthaftigkeit, selbst in der Musik, wollte man dem ehemaligen Feind auch wieder nicht zu gestehen. Im Wechsel zu den europäischen Kompositionen dann das Ensemble Sarband, mit traditionellen Stücken aus dem türkischen Raum. Der besondere Reiz hier in der Gegenüberstellung. Auf der einen Seite das orientalische Original, auf der anderen das, was im europäischen Musikverständnis des 18. Jahrhunderts daraus wurde. Sarband feinsinnig, fast kontemplativ im Zusammenspiel von Kemenge, einer kleinen Schoßfiedel und Kanun, einer Zither ähnlich. Dann das Concerto Köln, von den Musikern von Sarband an Percussioninstrumenten unterstützt, mit Franz Xaver Süßmayrs (1766-1803) „Sinfonia turchesca C-Dur“. Ein tosendes Allegro, in dem sich Streicher und Schlaginstrumente um die akustische Vormacht im Saal prügelten. Einem entspannten Adagio folgte das grummelnde Minuetto, dem sich ein furioses Finale anschloss. Da radaute es durch den Saal, dass es eine Freude war. Das Concerto Köln wunderbar homogen, mit ausgelassener, fast schon wilder Spielfreude. Die fünf Herrschaften von Sarband, Krach machend auf ihren türkischen Schlaginstrumenten, ihren Kollegen in nichts nachstehend. Dazu am Rand zwei Tänzer im traditionellen Gewand der Derwische, sich minutenlang wie in Trance um die eigene Achse drehen, wobei dem Zuschauer allein vom Hingucken schon schwindlig wurde. Der zweite Teil des Abends dann im Wechsel mit Sätzen aus Joseph Martin Kraus“ (1756-1792) Oper „Soliman II.“ und traditionellen türkischen Liedern. Zum Finale dann Wolfgang Amadeus Mozart (1755-1791). Die Ouvertüre zur Oper „Die Entführung aus dem Serail“. Musikalische Aufgeregtheit, die Schlaflosigkeit zur Folge habe, wie Mozart selbst behauptete. Mal beschwingt, dann wieder dröhnend-martialisch wenn das ausdrucksstarke Concerto Köln auf die Truppe von Sarband traf. Das Publikum im etwas über die Hälfte gefüllten Saal ließ sich von der Euphorie anstecken und gab donnernden Applaus zurück. Die Musiker bedankten sich mit einer Zugabe. Noch einmal das Allegro von Süßmayr, als ginge es hier um alles. Danach hielt es einige der Zuschauer nicht mehr in den Sitzen. Kaum verwunderlich nach diesem abwechslungsreichen Abend. Dirk Becker
Dirk Becker
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