Kultur: Tanzen auf dem Seil der Innerlichkeit Ausstellung im Pavillon der Freundschaftsinsel
Mit der bildenden Kunst, insbesondere der Malerei, ist es ein wenig wie mit dem Zyklus der Sonnenflecken. Alle paar Jahre verschwinden sie, um dann wiederzukehren.
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Mit der bildenden Kunst, insbesondere der Malerei, ist es ein wenig wie mit dem Zyklus der Sonnenflecken. Alle paar Jahre verschwinden sie, um dann wiederzukehren. So auch die Malerei samt ihrer ideologischer Attribute. Sie wird für tot gehalten, sie steht wieder auf, sie gewinnt an neuer Bedeutung und steht am Ende erneut vor dem Scherbenhaufen ihrer zerschlissenen Tradition.
Nicht minder die andere Seite, die der Kritik und der Kunstgeschichte. Mal darf es Abstraktion geben, mal Figürlichkeit, dann wieder nicht mehr. Mal scheint ein Begriff wie jener der Subjektivität keinen Sinn mehr zu produzieren, dann wird er unvermutet mit neuer Griffigkeit beseelt. Mal ist in der Malerei die Erzählung gefragt. Oder das Handwerk. Schon kurz darauf weicht alles eher formal orientierten Mustern. Vielleicht ist die Verlaufsform der Gegenwartskunst am Ende einfach nur rätselhaft. Und das Rätsel gekettet an ein Arsenal monströser Unsicherheiten.
Gut sichtbar wird das an der aktuellen Ausstellung der Schwedin Clara Gesang-Gottowt im Pavillon des Brandenburgischen Kunstvereins auf der Freundschaftsinsel. Die Ausstellung firmiert schlicht und ergreifend unter dem Titel „Malerei“ und beinhaltet ausschließlich Bilder ohne Titel. Keines gleicht dem anderen. Alle sind sie unterschiedlich in den Formaten. In den Sujets. In der Farbgebung. Und offenbar auch in den Herangehensweisen. Gibt es hier ein System? Sind diese Bilder kindlich? Sind sie dilettantisch? Sind sie professionell? Hat hier jemand schon seine Sprache gefunden? Oder fischt er noch im Trüben?
Die Irritation bei der Betrachtung scheint unmittelbar die Irritation innerhalb der Produktion zu spiegeln. Und das ist im Grunde nicht das Schlimmste, was dieser Malerei und ihren Konsumenten passieren kann.
Clara Gesang-Gottowt absolvierte an der Königlichen Akademie der freien Künste in Stockholm eine Ausbildung zum Master. Gerrit Gohlke, Kurator der Ausstellung und künstlerischer Leiter des Brandenburgischen Kunstvereins, gab justament zu dieser Zeit an der Akademie Seminare für Kunstkritik und hat über einen Zeitraum von drei Jahren die künstlerische Entwicklung der 29-Jährigen mit wachsendem Interesse begleitet. „Nichts an dieser Entwicklung ist fertig oder sicher“, sagt Gohlke. Das ist spannend genug, um damit die Ausstellungsreihe „New Statements“ fortzuführen, die seit 2014 in unregelmäßigen Abständen herausragende künstlerische Nachwuchspositionen im Pavillon auf der Freundschaftsinsel vorstellt.
Manche Besucher würden die Bilder als anthroposophisch empfinden, sagt Gohlke. Zumindest anfangs entblößen sie tatsächlich einen Hauch von Skandinavien, was an den irgendwie pastell-farbenen, oftmals ins Herbstliche gehenden Tönen liegen mag und vielleicht an Edward Munch erinnert. Doch schon beim zweiten Hinsehen lösen sich kunsthistorische Andockversuche jeglicher Art auf. Diese Tableaus wollen partizipatorisch erarbeitet und durchwühlt werden. Wenn es nach der Beobachtung Gohlkes geht, ist Clara Gesang-Gottowt nicht auf der „Suche nach dem vollkommenen Bild“, sondern darum, ein „bewunderndes Vertrauen zu provozieren“. Und Gohlke spricht dabei von einem „Seiltanz der Innerlichkeit“. Eine Innerlichkeit, die doppelt gilt. Für das Geschehen im Künstlersubjekt. Und für das Geschehen innerhalb der Bilder. Das sind zweifellos neue wie alte Argumente. Clara Gesang-Gottowt hört erst auf, an einem Bild zu malen, wenn der Eindruck entsteht, dass es für sich nichts mehr zu tun gibt. Wenn ihr streng reflexiver Wille sagt: Die Wahrheit in der Malerei ist erreicht. Ralph Findeisen
Ralph Findeisen
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