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Kultur: Tanzen bis zum nächsten Montag

Im Walhalla spielte das Montagsorchester

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Die Tür schwenkt auf, ein junge Platzanweiserin steht an einem Pult. Ohne Reservierung geht offensichtlich gar nichts. Im Kamin brennen die Scheite, jeder Tisch ist besetzt, meist von einem Pärchen. Hinten durch, da, wo im Walhalla die Bühne steht, sitzt man auch schon gespannt zu Tische. Das Montagsorchester, elf Musiker, deren Berufstätigkeiten sie zur wöchentlichen Probe zum Wochenanfang zwang, was zur Namensgebung führte, ist seit einem Jahr das Hausorchester des Varietéhauses. Sicherlich, weil es sich herumgesprochen hat, was hier am Abend alles passiert.

Das Montagsorchester ist so vielzählig, dass es nur nebeneinander auf der schmalen Bühne Platz findet. Links die drei Violinen, dann Kontrabass, Akkordeon, in der Mitte das Schlagzeug, daneben Banjo, Gitarre, Dudelsack, Klarinetten. Ganz links die Trompete. Deren Töne im Hintergrund sind dafür verantwortlich, wenn man bei dieser Musik ab und zu an Sven Regeners „Element of Crime“ denkt.

Das erste Paar lässt sich nicht lange bitten. Es schaut sich in die Augen, als das zweite Stück beginnt, es erstrahlt voller Zustimmung. Er im locker geknöpften roten Leinenhemd, sie in luftiger tonfarbener Kombination drehen sich zu einem schnellen Walzer zum Auftauen. Auf die Gesichter besonders der drei Violinisten setzt sich ein Lächeln. Denn das Ziel der Band, das erst nach Mitternacht erreicht sein wird, ist darauf ausgerichtet, alle Gäste paarweise auf das Parkett zu bekommen. Dass das so schnell passiert, hat wohl keiner gedacht. Eine schwedische Volksweise folgt. Für elf Instrumente in dieser Zusammenstellung gibt es keine fertigen Arrangements. Auf den Notenpulten liegen bloß die Melodielinien, die Harmonien und die Taktfolgen der Stücke. Für die Musiker bedeutet das, sehr genau acht zu geben, was die anderen spielen. Blicke werden ständig ausgetauscht. Sie sind immer ausgelassen, weil – was keiner mitbekommt – jederzeit das Chaos drohen kann. Diese Gefahr macht sichtbar Spaß.

Ein bebrilltes Mädchen mit rosa Haargummis springt um die beiden Tänzer herum und breitet ihre Arme zur Musik aus. Das schwedische Stück klingt nach Polka und der Dudelsackspieler verlässt die Bühne und tritt an einen Tisch heran. Dem Mädchen folgt ein kleiner Junge, der seinen eigenen Tanz entwickelt. „Niedlich“, hört man es aus dem Publikum. Mittlerweile hüpfen vier Kinder vor dem Orchester. Die Leute an den Tischen beginnen mitzuklatschen. Der Schlagzeuger, Ruben, guckt ziemlich unterfordert. Er, der eigentlich in einer in Potsdam gut bekannten Rockband spielt, ist eines der Erfolgsgeheimnisse dieser Formation. Sein knackiger Rhythmus verhindert, dass aus den traditionellen Stücken einfach nur liebliche Folklore wird.

Die Kellnerin hat viel zu tun. Sie muss mit grimmigem Blick an den hüpfenden Kindern vorbei Eisbomben an einen Vierertisch bringen. In der nächsten Pause werden den Kindern Schwitztücher gereicht. Wann müssen die eigentlich ins Bett? Jemand bemerkt, dass Aschenbecher stehen, aber niemand raucht. Freiwillig! So eine friedliche Atmosphäre herrscht. Bei der nächsten Nummer zieht das Mädchen ihre Mutter mit nach vorne. Und noch eine Tante, die ihren Körper alleine zu den Klängen biegt. „Lei, Lei, Lei“ singt das ganze Montagsorchester im Refrain. Langsam steigert sich mit dem Tempo die Tanzbereitschaft. Nun folgt ein Shanty, den jeder kennt. Das Saxophon imitiert eine Schiffshupe, die Klarinette winkt ulkig zum Abschied mit einem weißen Taschentuch. „My Bonnie is over the Ocean“ brummelt es von den Tischen zurück.

Im großen Gastraum zechen und spachteln fünfzig weitere Zuhörer, hier hat man einen nicht ganz so guten Blick auf die Musik, dafür kann man sich besser nebenher unterhalten. Nach der ersten Pause wird aufgehorcht. Ja, diese Melodie ist bekannt, nur woher? „Pippi Langstrumpf“ in einer Art Dudelsack-Rock-Version. Nicht nur für Kinder, auch für deren Eltern. Vor der Bühne kreisen die Paare. Ein Tango beginnt schwerfällig, endet aber leichtfüßig und wird mit Applaus bedacht. Dann singt der Dudelsackspieler, der eigentlich Ingenieur ist, auf Arabisch. Klingt wie ein Muezzin. Und das ist erst der Anfang einer wohl langen, ausgelassenen Samstagnacht. Vielleicht nennt man sich auch Montagsorchester, weil man fähig wäre, von jedem beliebigen Wochentag bis zum nächsten Montag eine Tanzfläche in Bewegung zu halten?

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