
© Chris Korner
Kultur: Tanzende Luftgeister aus Papier
Das Papier-Ballett von Cäcilie Davidis im Einstein-Forum
Stand:
Scheinbar schwerelos schweben und drehen sich diese Tänzerinnen in der Luft. Beim Papier-Ballett von Cäcilie Davidis sind die Gesetze der Gravitation aufgehoben, zumindest auf den ersten Blick. Die in zwei langen Reihen hintereinander und übereinander angeordneten grazilen, weißen Figurinen bewegen sich zu einer ganz speziellen Choreografie. Ersonnen hat sie nicht ein einzelner Tanzmeister, sondern den Rhythmus gibt die unmittelbare Umwelt vor, seien es ein Windhauch aus dem geöffneten Fenster oder die Atemzüge des Betrachters. Allein die Luft, das flüchtige Element des Übergangs, bildet dabei das Medium. Jetzt ist die still-bewegte Installation aus 120 Papier-Figurinen in Potsdam zu sehen. Im Einstein-Forum am Neuen Markt bildet sie den poetisch-künstlerischen Hintergrund für den kommenden Kongress zum Thema „Masses in (E)motion“.
Wie so oft, wenn man etwas sucht, war es wohl nur scheinbar ein Zufall, als Rüdiger Zill, wissenschaftlicher Referent am Einstein-Forum, in Marbach den anmutigen Gestalten begegnete. Und dass die Schöpferin der Luftgeister aus Papier, ihr Atelier ausgerechnet im Mekka der deutschen Literatur besitzt, mag man für Zufall halten oder auch nicht. Als gelernte Goldschmiedin, die an der Kunstakademie in München studiert hat, ist Cäcilie Davidis mit der Herstellung von Hohlformen vertraut. Ihre ausgeprägte Vorliebe für leichten und großen Schmuck führte sie zum Werkstoff Papier. Wenn sie erzählt, wie sie langfaseriges Papier, Tapetenkleister und weitere geheime Zusätze in einem Küchenmixer mischt, darf man sich ihre Werkstatt wohl als eine Art alchemistisches Labor vorstellen. Anschließend wird das spezielle Papiermaché auf massive Grundformen aufgetragen und nach dem Trocknen halbschalenförmig abgenommen, zusammengesetzt und weiß bemalt. Die fertigen Figurinen wiegen nur noch fünf Gramm pro Stück.
Ursprünglich lagen der Ballettkompagnie vier Typen zugrunde, die die Schriftzeichen T, A, N und Z verkörpern sollten. Inzwischen sind es acht Grundtypen in anmutigen Posen im Stile des Ausdruckstanzes. Nicht nur der langwierige, komplexe Herstellungsprozess auch die Installation besitzt etwas Magisches. Zwar erinnern die anthropomorphen Gestalten in einheitlichem, schlichtem Weiß und mit regelmäßigen Fakturen von fern an klassizistische Skulpturen. Doch die Kleinheit, Beweglichkeit und Vielfalt der tanzenden Sylphen enthebt sie der Erdenschwere und lässt sie in anderen Sphären schweben. Kein Wunder, dass Potsdam schon der dritte Ausstellungsort ist nach dem Museum für Papier- und Buchkunst in Lenningen und dem Mainzer Gutenbergmuseum. Von der „Ästhetik der Schwerelosigkeit“ des Papier-Balletts angetan zeigte sich auch Lothar Müller in seiner Einführung. Dass der Journalist und Literaturhistoriker gerade ein Buch mit dem Titel „Weiße Magie – Die Epoche des Papiers“ publiziert hat, passte wiederum glänzend zum Thema. Dabei behandelt Müllers Buch ganz rational die Produktion und den Werkstoff Papier als Träger von Schrift und Text, der wie Holz und Eisen und wohl auch wie das Glas die moderne Welt geprägt hat. Doch erst das ätherische Papierballett von Cäcilie Davidis vermag es, den Blick zu öffnen für die magischen Dimensionen der Bildenden Kunst. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: