Kultur: Tanzfreude auf Tasten
Jubel um das Klavierduo Labèque im Nikolaisaal
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Erst in der Ferne weiß man zu schätzen, was einem die Heimat bedeutet. Da kann die Phantasie frei schweifen. Wie beim katalanischen Komponisten Isaac Albéniz (1860-1909), dem Heimweh die Feder führte, als er seine Erinnerungen an sein spanisches Mutterland in Töne fasste. Er nannte die zwölfteilige Sammlung von Stimmungsbildern passenderweise „Iberia“, die einst manchem Pianisten als unspielbar galt. Nicht so dem einzigartigen Virtuosinnengespann Katia und Marielle Labèque, die bei ihrem enthusiastisch gefeierten Auftritt im Nikolaisaal am Samstag Teile des Zyklus’ in der Bearbeitung für zwei Klaviere spielten. Ach was: spielten – sie träumten sich in den sieben vorgeführten Stücken mit schier unglaublicher Technik und Ausdrucksintensität in ihre eigene Kindheit zurück, die sich im französischen Baskenland verbracht hatten.
Ohne alle Allüren betreten sie das Podium, auf dem zwei – und wie sich später herausstellt: auch klanglich sehr ähnliche Steinway-Flügel – eng beieinander stehen. Katia, zu schwarzer Hose trägt sie eine glutrote Bluse, hat sich für das heller tönende, klangoffenere Leihinstrument entschieden, während Schwester Marielle, ganz in schwarz, den etwas wärmer intonierenden Nikolaisaal-Flügel bevorzugt. Die Klangmischung stimmt dabei genauso perfekt wie der Gleichklang der Empfindungen und Tastenarbeiten. In der „Evocación“ genannten Einleitung beschwört Albéniz ganz allgemeine Erinnerungen an Spanien. Die verträumten, von den Schwestern klar nachgezeichneten Impressionen gehen in schwärmerische Betrachtungen über, aus denen unbändige Leidenschaft erwächst.
Auf den Punkt genau erklingen nicht nur hier die schillerndsten Farben und Zwischentöne. Auch in der Erinnerung an quirliges Treiben in einem Fischerdorf („El Puerto“) findet es sich wieder. Tänzerisch-tollkühne Bassläufe auf der einen, Trillerketten auf der anderen Seite sowie gemeinsam hingemeißelte Akkorde im Flamencorhythmus sind Ausdruck von Lebensfreude. Ein kurzer Blick, ein gemeinsamer Wimpernschlag, ein Kopfnicken und alles passt mustergültig zusammen. Vorwiegend perkussives Spiel bestimmt „El Corpus en Sevilla“, wobei die Läufe von der einen auf die andere Tastatur zu wandern scheinen. Auch bei weiteren Stationen von Albeniz’ Erinnerungen fasziniert der emotionale Gleichklang der Labèques, ihr Gespür für die passenden Anschlagserfordernisse und Dynamikfinessen, den nötigen Pedalgebrauch. Hier sind keine Tastentüftlerinnen am Werk, sondern wahre Temperamentsbolzen. Was zur Folge hat, dass in der Pause sofort der Klavierstimmer wieder zugange ist.
Doch die Damen können auch anders. In Claude Debussys „Nuages“ weben sie die duftigsten Klanggespinste in allen möglichen Schattierungen, während sie in der Impression eines Festes („Fêtes“) ausufernder Tanzfreude auf Tasten frönen. Die führen sie auch in der Maurice Ravelschen „Bolero“-Version für zwei Klaviere vor, die durch die Zutaten von baskischem Schlagwerk (Schellen an den Beinen, große Trommel, Tambourin, Xylophon, Kuhglocke) eine ganz besondere, weil intimere Note als die effektvolle Orchesterfassung erhält. Natürlich liefert die kleine Trommel den stupide geschlagenen Rhythmus, schwillt fast unmerklich die Lautstärke an, erwächst aus anfänglicher Meditation eine unheimlich innere Spannung, wobei sich Katia L. geradezu in Jazzekstase steigert. So erhält die finale Kulmination einen ganz neuen Sinn. Zuvor und danach begeistern die Schlagwerker mit traditioneller baskischer Musik. Peter Buske
Peter Buske
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