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Kultur: Tanzt! Aufruf zur Veränderung

Fabrik eröffnete Studiohaus / Dieter Heitkamp und seine Studenten boten eine „performing lecture“

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Tanzt!, so lautete die Befehlsform des Programms zum Eröffnungstag der neuen Studioräume der fabrik am vergangenen Samstag. In den ehemaligen Pferdeställen in der Schiffbauergasse sind jetzt vier Tanzstudios eingerichtet, schöne, große Räume, ein schmales Treppenhaus, rot gestrichen, ansonsten blanker Beton. Das ist eben Studio. Und das ist gut so.

Beim Treppensteigen kann es allerdings passieren, dass man mit einem Entgegenkommenden aufgrund der Enge eine unerwartete Körperbegegnung hat. Das mag zunächst eventuell unangenehm sein, aber vielleicht ist es Teil des Bewegungsprogramms der fabrik, quasi in die Architektur mit eingewebt. Denn die Kontakt Improvisation, die Dieter Heitkamp, Professor an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in seiner „performing lecture“ (etwa: Vorlesung mit Performance) vorstellte, sieht durchaus auch ungewollten Körperkontakt vor, integriert Ungewohntes und kultiviert ein Körperbewusstsein, das sich sehr von unserem mediengeprägten Alltagskörperdasein unterscheidet. Unsere Körper sind – wie alles andere der kapitalistisch-medialen Sichtweise unterworfen und wir als Körperwesen werden meist lediglich auf den Attraktivitätsaspekt hin wahrgenommen und nehmen uns selbst so wahr.

Doch es gibt Inseln, und dank des neuen Studiohauses in Potsdam viel Platz für Veränderung. Gerade weil die fabrik ein anderes Selbstverständnis kultiviert, ist die Entscheidung, ihr noch mehr Räume zu geben, absolut richtig. Es kann gar nicht genug dieser Übungsmöglichkeiten geben, um unserer körperfernen und feindlichen Alltagskultur etwas entgegen zu setzen. Denn Sitzen ist unsere Hauptbeschäftigung im Büro, im Auto, in der U- und S-Bahn, im Café, auf dem Fernseh-Sofa. Magersüchtige Jugendliche und Extrem-Jogger sind nur Auswüchse dieser merkwürdigen Lebensform.

Dass die Verantwortlichen der fabrik das kreative Tanzt!- Kommando ernst meinen, darüber ließ das Programm keinen Zweifel. Schon nachmittags waren Kinder und Jugendliche in Bewegung, um 19 Uhr spielten „Blue Tuba“ zum swingenden Tanz auf und um halb acht kam dann Dieter Heitkamp mit seinen Studenten. Schlangenartig wanden sich die Körper der drei Frauen und drei Männer um- und übereinander, sie schoben die Tische im Raum umher, sie ergingen sich in beiläufig wirkenden Kabbeleien. Eine Tafel mit dem Titel der Vorlesung „Schule der Sensibiltät“ sowie ein Labortisch, an dem ein Herr in weißem Kittel die Akustik bediente, ergänzten den Unterrichtscharakter. Streng wirkte der Lehrer, Dieter Heitkamp, der sich mit seinem Manuskript auf den Stuhl setzte, um in wissenschaftlich-neutraler Manier die Grundlagen der Kontact Improvisation darzulegen, während seine Studenten den praktisch-anschaulichen Part übernahmen.

Das war manchmal witzig und selbstironisch, vor allem, als Heitkamp mitteilte, dass diese Art der Performance oft für die Tänzer unterhaltsamer sei als für das Publikum. Doch für Abwechslung war gesorgt, und auch die Zuschauer durften mittels aneinander gelegter Zeigefinger und geschlossener Augen spüren, was unser Körper an Möglichkeiten birgt. Da fingen diese beiden Zeigefinger, die bisher unbekannte Personen aufeinander drückten, plötzlich an, in der Luft zu kreisen, nach oben, nach unten, in Ellipsen, im abrupten Fall oder im schnellen Aufstieg. Zwei Minuten mit geschlossenen Augen können lang sein und ein ganzes Universum an Körpergefühl eröffnen.

So war auch ein bisschen Selbsterfahrung dabei, und viel, viel Theorie, bei der Heitkamp Parallelen zwischen Gedanken von Paul Klee und dem Begründer der CI, Steven Paxton, zog. Begriffe wie Bewegung, Masse, Reibung oder Schwung blieben aber nicht theoretisch körperlos im Raum hängen, sondern erhielten durch die agilen Körper der „Tänzer“ sofortige Anschauung. Dass eine Übung wie „einer ist immer oben“ sehr viel Druck und Gegendruck erfordert, oder dass man den „rolling point of contact“ als „Punkt ins Rollen“ bringen kann, wurde nicht nur erklärt, sondern auch gezeigt.

Und es eröffnete sich ein innerer (Körper-)Raum, in dem die Gedanken ins Rollen kamen. Über unsere Gesellschaft, unseren (sozialen und individuellen) Körper und das Bewusstsein darüber. Das war informativ, lehrreich und meistens dennoch unterhaltsam.

Lore Bardens

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