Kultur: Tarantula: Irgendwo im Nirgendwo
Wohl dem, der seinen Schatten zum besten Freund hat. Peter, ein aufgeweckter Junge, weiß die Existenz seines ständigen Begleiters zu schätzen.
Stand:
Wohl dem, der seinen Schatten zum besten Freund hat. Peter, ein aufgeweckter Junge, weiß die Existenz seines ständigen Begleiters zu schätzen. Mit ihm kann er schwatzen, lachen, spielen, auch mal boxen oder ein ernstes Wort reden. Dennoch lässt er sich von einem finsteren Geist dazu verführen, seinen Schatten gegen einen Schlüssel zu tauschen, der ihm Zugang zum aufregenden Reich der Nacht verschaffen soll. Ein Teufelspakt mit bösen Folgen, denn fortan wird Peter von den anderen Kindern gemieden.
Zum ersten Mal stehen die Mädchen und Jungen der Theatergruppe Tarantula aus dem Offenen Kunstverein auf einer großen Bühne. Das von ihnen selbst entwickelte Stück „Schattenland“ hatte am vergangenen Wochenende in der fabrik Premiere.
Ausgangspunkt für die Improvisationen, aus denen Spielleiterin Ulrike Schlue die Handlung aufbaute, war die wundersame Geschichte des Peter Schlemihl, die Adelbert von Chamisso 1814 im preußischen Exil, fern seiner französischen Heimat für die Kinder eines Freundes schrieb, aber auch für sich selbst, um sich vom Gefühl der Entwurzelung und inneren Zerrissenheit abzulenken.
Für die neun- bis zwölfjährigen Theaterkinder bietet der spielerische Umgang mit dem Schatten viel Raum, die eigene, gerade erst erwachende Identität zu erspüren und nach dem „anderen“ Ich zu fragen, mit dem man auf Gedeih und Verderb verbunden ist, auch wenn es einem widerspricht und man es manchmal zum Teufel jagen will. Der Peter aus dem Theaterstück begreift, dass das ein Fehler ist. Im Reich der Nacht gerät er in die Katakomben des Unterbewusstseins, in denen die Bilder und Gedanken des Tages seltsame Kapriolen schlagen. Gangsterbanden, Blutsauger und lebendig gewordene Schaufensterpuppen lehren ihn das Fürchten. Er sehnt sich nach der Helligkeit des Tages. Und nach seinem Freund.
In Episoden erzählt das Stück von der Suche Peters nach seinem Schatten, irgendwo im Nirgendwo. Die einzelnen Szenen gehen dabei nicht immer fließend ineinander über. In sich aber sind sie schlüssig und werden von den Kindern fantasievoll ausgestaltet. Peter Hütte spielt den Jungen ohne Schatten forsch und unbefangen. Er leiht seiner Figur das eigene fröhliche Temperament und bewegt sich auf der Bühne in wütender wie in nachdenklicher Pose schon erstaunlich sicher. Die sparsam, aber effektvoll eingesetzten Requisiten geben einen illustrierenden Hintergrund, wobei Licht und Schatten, Schwarz und Weiß für die nötige Klarheit sorgen. Kostüme, Masken und Kulissen stammen aus den Ateliers des Offenen Kunstvereins und machen dieses erste Theaterstück der Tarantula-Gruppe zu einem kleinen Gesamtkunstwerk, das den Kindern in zweifacher Hinsicht hilft, das eigene Ich zu stärken: über den Inhalt und über das Spiel selbst. Antje Horn-Conrad
Antje Horn-Conrad
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: