Die Kammerakademie Potsdam bei „KAP modern“: Tauwetter und Ekstase
Winter ade möchte man im Foyer des Nikolaisaals singen. Denn beim Klang der Marimba von Friedemann Werzlau fühlt man sich in eine veritable Schneelandschaft versetzt.
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Winter ade möchte man im Foyer des Nikolaisaals singen. Denn beim Klang der Marimba von Friedemann Werzlau fühlt man sich in eine veritable Schneelandschaft versetzt. Mit etwas Fantasie hört man, wie mit stetigem Pling-Pling die Tropfen vom Eiszapfen fallen, bis er knirschend abbricht und zerspringt. Das um den Solisten platzierte Publikum lauscht gebannt den Tönen, die fast so sanft wie Schneeflocken fallen. Dann wieder ploppen die Töne wie Tropfen, die unregelmäßig in eine Pfütze fallen – endlich beginnt es zu tauen.
Mit diesen beiden Szenen aus dem Stück „Snow Country“ für Marimba solo von Hans Werner Henze begann am Freitagabend das Konzert der Kammerakademie Potsdam in der Reihe „KAP modern“. Unter dem Titel „Jahreszeiten“ gab es einmal nicht Vivaldi, Haydn und Co. zu hören. Einst gehörte die musikalische Nachahmung der Natur zum ästhetischen Credo der Kunst, fiel dann aber unter das Verdikt der „Programmmusik“. Wie sich zeigte, wagten sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder viele Komponisten an das traditionelle Sujet – im Gewand ihrer eigenen, sehr unterschiedlichen Sprachen.
Fließende Säfte und sprießende Frühlingskräfte scheinen in Ole Bucks suggestivem Streichtrio „Spring Blossoms“ am Werk zu sein, wenn langgezogene hohe Geigentöne (Laura Rajanen) von unregelmäßigen Pizzicato und sul-ponticello- Klängen der Bratsche (Ralph Günthner) und des Cellos (Christoph Hampe) perforiert werden und zuletzt dichte ostinate Klangfelder bilden. In Julia Wolfes Streichquartett „Early that Summer“ scheint die Jahreszeit kaum mehr zu sein als der Aufhänger für ein offensives Stück voll treibender Rhythmen und harscher Explosionen – ein Exzess der Neuen Musik. Bei der radikalen Vehemenz dieses Werks kann Beethovens berühmte Frage „Muss es sein?“ wohl nur in seinem Sinne, wenn auch mit einem kleinen Seufzer bejaht werden.
Wesentlich entspannter, beinahe heiter geht es beim Rendezvous von Flöte (Bettina Lange) und Kontrabass (Tobias Lampelzammer) in Fabio Nieders Duett namens „Jodeln“ zu. Dem seit alters her durch die Musik geisternden Hirtengott Pan setzt Mauricio Kagel ein kurioses Miniaturdenkmal. Ganz betört folgt hier das Streichquartett einer girrenden, flirrenden, tirilierenden Piccolo-Flöte bis hin zur gemeinsamen Ekstase – Mozarts Papageno-Pan grüßt schalkhaft um die Ecke. Dass das ausgesprochen idyllische Stück „In a Landscape“ von dem radikalen Erneuerer John Cage stammt, erstaunt dann doch. Denn hier treten keine Konservendosen, Radios oder Generatoren auf, sondern eine milde Harfe (Friedemann Werzlau) spielt unentwegt gebrochene Akkordwellen im Piano – das klingt mehr weit nach New Age Musik als nach Geräuschprovokation.
„Als wenn man durch einen Garten ginge“ beschreibt der japanische Komponist Toshio Hosokawa seine Musik. Sein Streichquartett „Silent Flowers“ ist als metaphorisch dichte Studie über Leben und Tod angelegt. Ehrfürchtig zelebrieren die Musiker das vielschichtige und sublime Werk mit allen Mitteln ihrer Kunst – und lassen keinen Zweifel offen, dass hier ein Gipfel der modernen Musik erreicht ist. Im Rückgriff auf alte Musik komponiert Morten Lauridsen fast ausschließlich für Chöre. Sein Klassiker „O Magnum Mysterium“, ein zeitgenössischer Weihnachtschor, erklingt zum Finale mit fünf Streichern. Warum ausgerechnet bei diesem introvertierten, andächtigen Werk auf einmal kaltes Licht aus Neonröhren in die Gesichter der Zuhörer leuchtete, bleibt ein Rätsel der Lichtregie – vielleicht war es ein Wecksignal? Das wäre bei diesem abwechslungsreichen und interessanten Programm mit der Kammerakademie nicht nötig gewesen. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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