Kultur: Teufelsbrut
Theater „marameo“ mit „Gefährliche Liebschaften“ in Großer Stadtschule
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Was könnte niederträchtiger sein, als einen Menschen zum Bösen zu verführen. Kurz vor der Französischen Revolution erschien ein Roman, in dem die Verführung Name und Gesicht erhielt. Choderlos de Laclos schrieb sie in dem Briefroman „Gefährliche Liebschaften“ nieder. Sein deutscher Übersetzer Heinrich Mann meinte, es sei eine „Parteischrift“ des späteren Revolutions-Offiziers gewesen, gleichwohl er dem Autor eine heimliche Vorliebe zur Ränke schmiedenden Hauptfigur, der reichen Marquise de Merteuil, nachsagte. Ohne der berühmt-berüchtigte Heiner-Müller-Adaption zu gedenken, ging das freie Theater „marameo“ daran, sich eine eigene Bühnenfassung zu erarbeiten. Sie vertraute ganz der Romanvorlage und bot bestes, anspruchsvolles Theater, wie am Sonnabend zur Premiere im Hof der Grand Ecole zu sehen war.
Wer die Welt für etwas Gutes hält, wird von Laclos eines besseren belehrt. Nicht adlige, sondern menschliche Niedertracht treibt die Marquise (Julia Littmann) dazu, ihren intelligenten Galan Valmont (Thilo Prothmann) in immer neue Ungeheuerlichkeiten zu treiben. Sexuelle Hörigkeit. Noch vor Goethes „Faust“ wird hier eine Wette beschlossen: Wenn es Valmont gelingt, die erst 15-jährige Klosterschülerin Cecile (Lissy Pernthaler) zu verführen, gibt sie sich – „geboren, mein Geschlecht zu rächen“– ihm wieder hin. Er setzt noch einen drauf, indem er verspricht, die Tugend der „Präsidentin“ (Carina Drews), Madame de Tourvel, gleich mit zu brechen. Beiden geht es nicht um sexuellen Genuss, sondern um glatte Menschenjagd. Was sich nun auf offener Bühne zwischen angedeuteten Säulen abspielt, ist die Bosheit schlechthin. Cecile und ihr Liebster, der Ritter de Danceny (Karim Ben Abdelkader) werden getrennt, die Marquise macht sich über ihn her, indes Valmont mit unbeschreiblicher Perfidie Cecile in die Abgründe sexueller Ausschweifungen einführt. Nur ihre Mutter, sehr kräftig von Susanne Menner gespielt, durchschaut seine Bosheit, kann aber das moralische Verderben der geliebten Tochter auch nicht verhindern – auf dem Rücken Valmonts im Luderbett schreibt sie dem Ritter glühende Briefe.
Regisseur Andreas Lüder hat ein Meisterwerk inszeniert. Die Szenen sind streng gebaut und durchweg schlüssig auf Text und vor allem Untertext gesetzt, so dass der Zuschauer stets mehr weiß als die Figuren im historischen Kostüm. Im Simultanspiel werden aus Briefen Szenen, Szenen gehen in Briefzitate über. Die Schauspieler sind fast durchweg brillant, keine Schnörkel, keine Extras, Wertungen sind dem Betrachter überlassen, mithin auch die Frage, was das alles mit der heutigen Zeit zu tun haben könnte. Wohl alles, denn diese unfassbare Bosheit ist keine französische Spezialität. Der Teufel regiert. So werden die beiden Frauen gründlich zerbrochen. Als Valmont sich in die Präsidentin verliebt, ist es wieder die Marquise, welche ihm („Teufel sind wir beide“) diese Liebe austreibt: die starke Szene mit seinem „da bin ich machtlos!“ muss man genauso gesehen haben wie die Verführung Ceciles durch Valmont. Großes Theater mit tollen Details, stärkster menschlicher Tobak also in einer großen Inszenierung voller Leichtigkeit, Heiterkeit, Schönheit und Tiefsinn, ein Prachtstück am trüb gewordenen Himmel des Menschen-Theaters, zu dem Botho Karge die Perkussionen lieferte. Man lernt, wie leicht Verführung sein kann, wenn man die Wahrheit dort sagt, wo man nur Lügen vermutet. Ein besonders übles Exemplar „Don Juan 2007“, ein Abgrund von Weib, das alles in Händen behält, bis zum bitteren Ende.
Weitere Vorstellungen vom 6. bis 8.9. jeweils 20 Uhr in der Kleist-Abendschule, am 9.9. im Hof Eversmann, Neu Langerwisch 40, 17 Uhr.
Gerold Paul
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