Kultur: Teuflischer Budenzauber
St. Petersburger Künstler erzählen „Faust 3“
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Blaues Licht, schrille elektronische Musik und teuflische Schattenrisse kündigen Unheil an am Freitagabend beim Unidram-Festival im T-Werk. Die St. Petersburger Künstlergruppe Akhe präsentiert ihr neustes Multimedia-Spektakel „Faust 3 in 2411 Wörtern“. Die Drei-Mann-Performance basiert auf einem eben 2411 Wörter umfassenden Faust-Text von Maxim Isaev, dem Kopf der Truppe, der auf der Bühne als geheimnisvoller Strippenzieher im Hintergrund bleibt. Später wird er sich mit einer Flaschenzug ähnlichen Konstruktion in die Höhe kurbeln, um den Überblick zu behalten und die Röhrenglocke zu läuten, auf dass Faust erkennt, was die Stunde geschlagen hat.
Andrey Sizintsev mimt den experimentierfreudigen, nach Erkenntnis strebenden Meister. An einem zur Versuchs- und Musikanlage umfunktionierten Frisiertisch berichtet er, was ihm geschah: wie er die Dinge der Natur studierte, immer noch mehr wissen wollte und deshalb mit dem eigenen Blut Mephistos Vertragsangebot unterschrieb. Was Faust aufgeregt, mitunter verzweifelt erzählt, wird in einer Jahrmarktsbude direkt neben ihm bildreich in Szene gesetzt. Einem Gaukler gleich lässt Pavel Semchenko die Schlenkerpuppen tanzen, nutzt den geisterhaften Effekt schauriger Schattenspiele, experimentiert mit dampfenden Flüssigkeiten, Licht, Feuer und Rauch. Es zischt und knallt, und über allem dreht sich eine Glitzerkugel, um die das glimmende Ende eines Räucherstäbchens kreist, wie ein Sputnik um die Erde.
Freilich, Witz und Esprit der Goetheschen Dialoge zwischen Faust und Mephistopheles, dem Geist der stets verneint, bleiben in diesem Spektakel außen vor. Isaevs zweieinhalbtausend Wörter lassen nur wenig Redewiedergabe zu. Die Sinnbilder aber, die Pavel Semchenko in der „Studierbude“ zaubert, wecken Assoziationen zu den verschiedenen literarischen Bearbeitungen des Fauststoffs: vom Volksbuch über Christopher Marlowes dramatisierte Version, spätere Satiren und Schauerdramen bis zu Goethes Klassiker.
Die starke Präsenz der Musik, von Andrey Sizintsev in wilder Perkussion an seinem elektronischen Experimentierpult erzeugt, bringt Thomas Manns literarische Figur des Tonsetzers Adrian Leverkühn in Erinnerung, der für die Musik seine Seele opfert und auf die Liebe verzichtet. Nicht zuletzt versetzt der russisch gesprochene Monolog in die Straßen Moskaus, wo der Magier Voland aus Michail Bulgakows „Der Meister und Margaritha“ sein teuflisches Verwirrspiel treibt.
Wie um das Leben Fausts, so ranken sich auch um dessen Ende Legenden. In tausend Stücke zerrissen soll man die Reste seines Leichnams im Hof auf dem Mist gefunden haben. Was für die einen das tragische Ende eines chemischen Experiments, war für die anderen die verdiente Strafe, die Einlösung des Teufelspakts. Das Letzte, was Akhe den Magier hören lässt, ist aber nicht der Hölle Lärm, sondern eine kummer-, ja reuevolle Melodie. Dann geht sein Körper in Flammen auf.
Wie zur Bestätigung, dass es sich um einen riesigen Budenzauber handelte, mit dem einst auf mittelalterlichen Jahrmärkten die sagenhafte Geschichte des Dr. Faust weitergetragen wurde, verwandeln die drei Akteure am Ende das abgefackelte Studierzimmer in einen Ausschank, bieten Äpfel, Wein und Wodka feil. Und das Publikum – es nimmt die Einladung an, wie zum Leichentrunk, um sich an bessere Zeiten des Verstorbenen zu erinnern. Antje Horn-Conrad
Antje Horn-Conrad
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