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Kultur: Theater auf der Couch

Premiere von „Superstar“ in der Comédie Soleil

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In der Vergangenheit hat das liebenswerte Kieztheater Comédie Soleil sein Publikum schon oft gerührt. Der Überlebenskampf eines notorisch klammen Privattheaters ging den Theaterfreunden mindestens genauso nahe wie die mal mehr, mal weniger erfolgreichen Aufführungen. Derjenige, der sich von den aufopferungsvollen Betreibern des Hinterhoftheaters für einen Abend umspielen lässt, erwartet keine perfekte Inszenierung und keine unentdeckten Jungstars. Wer vor der kleinen Bühne Platz nimmt, weiß von der Menschlichkeit, die hinter dem schauspielerischen Sich-Mühens steckt, und weiß gerade die Glaubwürdigkeit dieses redlichen Treibens zu schätzen. Aufführungen in der Feuerbachstraße werden mit Milde beurteilt. So ein Raum lebt von den Nachbarn, die gucken kommen, weil sie froh sind, dass in ihrer Mitte etwas Alternatives entstanden ist.

Milde beurteilt gehört auch der Musikabend, der unter dem Titel „Superstar“ am Samstag Premiere hatte. Die Handlung lässt sich auf wenige Sätze verdichten. Gary hat eine Bar, in der Musiker Hooker mit seiner Band auftritt. Lena arbeitet hinter dem Tresen. Corry kommt hinzu. Hooker ist „ganz unten“. Dann kommt Lester, ein Musikmanager, und bietet Hooker einen tollen Vertrag an.

Frappierend für eine Theateraufführung die Abwesenheit von eigentlichem Schauspiel. Stattdessen scheinen sich die Figuren in „Superstar“ ausschließlich in Regieanweisungen zu äußern, die ja eigentlich dazu da sein sollten, den Schauspieler – und nicht das Publikum – zu informieren, in welcher Situation er sich befindet. Stimmungen werden proklamiert, nicht mehr erarbeitet. So erklärt Kneipenbesitzer Gary das Personal in der Bar wäre so etwas wie „eine kleine Familie“ der eine „verrückte Geschichte“ passiert wäre. Gary stellt Hooker mit den Worten vor „Hooker war fast ein Star“, und Hooker umgedreht Gary „Das ist Gary, mein Chef“. Hier dient das Sprechen durchgehend als performativer Ersatz für das Schau-Spielen, das gänzlich unterbleibt. Fast zwangsläufig erleben die 30 Zuschauer weder etwas Verrücktes noch so etwas wie eine Geschichte.

Milde gesehen sitzt der Zuschauer in einer behaglichen Kneipenatmosphäre, knabbert Salzgebäck und hört Hooker, gespielt von Michael Klemm, bei einer Reihe von selbst geschriebenen und sehr simplen Rocksongs zu. Immerhin der vorzügliche Gitarrist Christian Fritze sorgt dafür, dass die vor der Anhäufung lauter Peinlichkeiten getriebene Aufmerksamkeit, die weder lange bei Klemms dürftiger Sangeskunst noch seinen unglaublich banalen Texten Ruhe findet, für einige Momente auf seinem Griffbrett Erholung finden kann.

In der sympathisierendsten aller denkbaren Lesarten wird aus „Superstar“ ein an Verzweiflung schwer tragender 90-minütiger Kommentar des Unterbewussten eines Kieztheaters. Das für die Illusion an sich nötige Rollenspiel wird von den aus materieller Not und existentieller Anspannung zum Schauspiel nicht mehr bereiten Protagonisten verweigert. In „Superstar“ spielt jeder nur noch sich selbst. Die zu einer losen Nummernfolge aneinander gereihten Songs über „no jobs“, der Einsamkeit des Individuum „alone in the streets“ und den „ups and downs“ des Musikerdaseins werden so zum Dauerlamento über den drohenden Verlust des ursprünglichen, des eigentlichen Metiers: des Theaters. Nach dieser Interpretation macht es plötzlich auch Sinn, dass sich der Musiker Hooker – von der Übermacht seines Unterbewussten verleitet – in seinem Abschiedslied nicht in die Zentren der Musikindustrie, Memphis, Detroit oder New York hinein sehnt. Sondern nach Hollywood, dem meist unerfüllt bleibenden Traum eines jeden Schauspielers.

Matthias Hassenpflug

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