Kultur: Theaterduft
Premiere des Theaters Marameo: „Cyrano de Bergerac“ im Hof der Kleist-Abendschule
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Die großen Flügeltüren der Stadtschule inmitten der Ebertstraße werden zugesperrt. Langsam löst die Theaterwelt die laute Döner-Wirklichkeit draußen ab. Ein Refugium, dieser Hof des 268-jährigen Hauses. Schauspieler, grüngekleidete Komparsen und die Premierengäste bewegen sich unter der großen Linde zwischen Stuhlreihen und Cafébar. Übergangslos gleitet die Aufführung von Cyrano de Bergerac in die muntere Sommerabendgesellschaft, wie ein gleißender Tag in die Dunkelheit der Nacht hinüber dämmert. Das Schlagwerk des Percussionisten Botho Kargers ruft das Publikum heran. Jongleure proben, ein französisches Lied wird gesungen. Degen kreuzen sich.
Vielleicht ist es der besondere Reiz dieses Sommertheaters, wie es die Profitruppe aus Potsdam und Magdeburg an dieser bezaubernden Stelle nun im zweiten Jahr ausübt, dass die Umwelt mit ihren Geräuschen und Regungen immer ein wenig präsent bleibt. Eine Uhr schlägt irgendwo, eines der zahlreichen Kinder im Publikum bangt vernehmlich mit dem armen Cyrano. Theater in der Kleist-Abendschule ist uneingeschränkt familienfreundlich. Nicht, weil das Stück Rücksicht nehmen würde – da wird gekämpft, gelitten und gestorben - , sondern weil die Atmosphäre so herzlich und stimmungsvoll ist.
Vase, Blase, Hase, sogar – sicher textlich modernisiert – „Stripte-Ase“: der Wort- und Degenkünstler Cyrano de Bergerac hat ein Problem. Alles, sogar der Reim, den er doch besser beherrscht als alle anderen, führt unweigerlich zu seinem monströsen Riechorgan. Seine Nase – wahrlich eine Kathedrale (Bühnenbild Bettina Plesser) – steht wortwörtlich zwischen ihm und der geliebten Cousine Roxane. Auch Cyrano-Darsteller Raimund Wurzwallner hat ein Problem: die meisten kennen Edmond Rostands Figur des so kampferprobten wie hypersensiblen Nasenträgers aus dem gleichnamigen Film mit Gerard Depardieu. So ein tobender Haudegen will die Marameo-Nase nicht sein und gibt sich zarter, grüblerischer, ja femininer.
Alle lieben Roxane, in deren Liebessehnsucht sich Esther Buser immer weiter hinein steigert. Neben Cyrano auch der athletische, sprachlich aber gewaltig gehemmte Christian (Paul El Selman) und der böse Graf Guiche, gespielt von Tilo Werner. Der kann zwar für seine Ähnlichkeit mit dem Brandenburger Innenminister Schönbohm nichts, darf aber in seiner Wirkung doch unbewusst davon profitieren. Schneidiges Auftreten, gefühlloses Kommandieren und zu guter Letzt ein versöhnlicher Tonfall wirken so vertraut und sehr realistisch.
Die berühmte Balkonszene, in der Cyrano geschützt durch die Dunkelheit an Christians Platz tritt und Roxane mit seinen Worten entflammt, ist ein Höhepunkt des 1897 uraufgeführten Dauerbrenners und zeigt zugleich die Herausforderung einer solchen Hofinszenierung. Auf dem hohen, grünen Holzgestell – die Hingerissene oben, der Wortlose darunter, der nasengepeinigte Souffleur daneben – muss die Leidenschaft recht lange Wege gehen, um neben den Protagonisten auch noch den Zuschauer zu erreichen. Das gilt auch für andere Bilder des insgesamt sehr leicht und gefällig von Andreas Lüder in Szene gesetzten Stücks. Auch wenn das Schlagwerk von Karger wie im Straßentheater für eine aufrüttelnde Taktung sorgt, sind manche Wege und Pausen zu lang, um das erforderliche hohe Tempo zu halten. Die sich gegenüber sitzenden Zuschauer als eine manchmal zu lebhafte Kulisse buhlen jederzeit um die Aufmerksamkeit. Die Komik muss in diesem tragischen Plot zu kurz kommen. Rainer Schubert, der den Zuckerbäcker Ragueneau mit seinen ulkigen Marotten spielt, sollte sein Talent dafür mehr entfalten.
Die Auflösung der Wirrungen um die Frage, ob nun Worte oder der Mensch selbst die Liebe transportieren, führt nicht zum Happyend. Es ist bereits dunkel, im Lichtkegel der Scheinwerfer wird Cyrano Opfer seines Stolzes. Ein letzter Tusch. Das Tor öffnet sich wieder. Kräftiger Applaus dringt auf die belebte Ebertstraße. Auf der duftet es nun appetitlich nach Sommertheater.
Aufführungen: heute und morgen, 17 Uhr; 13. - 15. Juli, 20 Uhr; 16. Juli, 17 Uhr
Matthias Hassenpflug
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