Kultur: Ticky Tock – das unerbittliche Ticken
Hans-Eckardt Wenzel stellt Texte und Lieder der amerikanischen Folk-Ikone Woody Guthrie vor
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Hans-Eckardt Wenzel stellt Texte und Lieder der amerikanischen Folk-Ikone Woody Guthrie vor Von Carsten Beyer Wenzel ist seit vielen Jahren einer der textlich schärfsten und poetisch anspruchsvollsten Liedermacher hierzulande, nicht umsonst wurde er im vergangenen Jahr mit dem deutschen Kleinkunstpreis ausgezeichnet. Dennoch wildert der Berliner immer wieder gerne auch bei anderen Schreibern, so wie vor fünf Jahren, als er eine ganze CD mit Texten des österreichischen Dichters Theodor Kramer aufnahm. Auf „Ticky Tock“, seiner jüngsten CD, stellt Wenzel 14 bislang unveröffentlichte Stücke des amerikanischen Arbeitersängers Woody Guthrie vor. Nach dem Tode Guthries 1967 hatten diese jahrzehntelang in alten Kisten im New Yorker Büro von Guthries Manager Harold Leventhal herumgelegen. Erst vor wenigen Jahren begann die jüngste Tochter des Sängers, Nora Guthrie, das Material neu zu sichten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nora Guthrie, die Wenzel beim Festival des politischen Liedes in Berlin kennen lernte, war es dann auch, die den Sänger zu einem Besuch in ihrem New Yorker Archiv überredete. Er solle sich doch einmal selbst davon überzeugen, welche Schätze dort noch der Ausgrabung harrten. Diese Geschichte bildete den Ausgangspunkt zu einer musikalischen Reise, die für den Berliner zu einer echten Offenbarung wurde. Mehr als ein Jahr lang hat Wenzel an dem Guthrie-Projekt gearbeitet. Er hat aus dem Wust an unveröffentlichten Texten diejenigen ausgewählt, die ihm für ein heutiges Publikum am aktuellsten und spannendsten erschienen. Er hat diese Stücke anschließend selbst vertont und sie ganz am Schluss erst, sehr behutsam, vom Englischen ins Deutsche übertragen. Dabei ist er nicht etwa vor der Ikone Woody Guthrie in Ehrfurcht erstarrt, sondern er hat sich dessen Werk, dessen Texte wirklich zu eigen gemacht und daraus etwas Neues geschaffen. Wenzel hat aus Guthries Repertoire nicht die Klassiker oder die lauten politischen Parolen herausgelöst, vielmehr beachtete er die leisen Beobachtungen am Rande - Texte, in denen sich der Amerikaner mit ganz alltäglichen Dingen auseinander setzte. Ticky Tock, das unerbittliche Ticken der Uhr beispielsweise, wird bei ihm zum Symbol, das die Kleinen und die Großen, die Armen und die Reichen, die Guten und die Schlechten gleichermaßen an ihre Vergänglichkeit erinnert. Oder das Stück „Ich bleibe am liebsten bei Daddy“, das mit einer Barockarie beginnt und in einer wilden Bläserpolka endet, die jeder serbischen Dorfkapelle zur Ehre gereichen würde - es ist eine Hommage an seinen Sohn Arlo, der mittlerweile längst in die Fußstapfen seines Vaters getreten ist. Wenzel und Guthrie sind Geistesverwandte, auch wenn der eine von ihnen schon lange tot ist. Beide lieben das Anarchische, Unkonventionelle und beide besitzen die seltene Gabe, politische Gedanken so zu Papier zu bringen, dass sie weder eifernd noch dogmatisch klingen. So wie der Irrwisch Wenzel mit seiner achtköpfigen Band über die Bühne tanzt, mal mit Gitarre, dann wieder mit Klarinette und bei den Seemannsliedern des Teilzeitmatrosen Guthrie auch schon mal mit dem Akkordeon, so stellt man sich auch den Amerikaner vor, wie er in den 30er und 40er Jahren kreuz und quer über den nordamerikanischen Kontinent reiste. Im Februar und März war Hans-Eckardt Wenzel mit seiner Band zu einigen Konzerten in den USA: Unter anderem spielte er dabei auch in der Country - Hochburg Nashville, dem erzkonservativen Herzen der amerikanischen Musikindustrie. Und siehe da, auch die Amerikaner konnten mit Wenzels Version der Folk-Ikone etwas anfangen: So gut schlug das Gastspiel des „East-Berliners“ ein, dass es die CD „Ticky Tock“ mittlerweile auch in einer englischen Version gibt. Und damit ist auch Woody Guthrie endgültig in seine Heimat zurückgekehrt. Freitag, 7.11., 20 Uhr / Samstag, 8.11., 21 Uhr
Carsten Beyer
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