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Kultur: Tief im Keller

Heute wird mit einer Lesung im Literaturladen Wist des Schriftstellers Wolfgang Hilbig gedacht

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Durch seine Gedichte, Erzählungen und Romane hat Wolfgang Hilbig gesprochen, ansonsten hat er lieber geschwiegen.

Die Nachricht von seinem Tod am 2. Juni in Berlin, kurz vor seinem 66. Geburtstag, traf überraschend. Sie trat so unerwartet aus der Stille, mit der sich Wolfgang Hilbig umgab, dass einem ihre Endgültigkeit erst allmählich bewusst wurde. Ein neuer Roman, Erzählungs- oder Gedichtband, eine Preisverleihung, das war es, was den Schriftsteller an die Öffentlichkeit holte. Die stille Zeit dazwischen galt einem als Arbeitsprozess an Neuem. Dass der Krebs an Hilbig fraß, wusste man nicht.

Heute Abend wollen im Literaturladen Wist auf der Brandenburger Straße die Autoren Ines Geipel, Katja Lange-Müller und Ulrich Anschütz aus ihren Lieblingstexten von Wolfgang Hilbig lesen. Auch Lutz Seiler, Träger des diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preises, wird dabei sein. Hendrik Röder vom Brandenburgischen Literaturbüro will die Veranstaltung moderieren. Ein Verneigung vor dem stillen Wolfgang Hilbig, dessen schriftstellerisches Werk für viele Autoren vor allem aus den neuen Bundesländern von großer Bedeutung ist.

Im sächsischen Meuselwitz, einem Bergarbeiterkaff, wurde Wolfgang Hilbig am 31. August 1941 geboren. Aufgewachsen ist er bei seinem Großvater, sein Vater war bei Stalingrad gefallen. Dieses Meuselwitz, dieser Ort seiner Kindheit, taucht in vielen seiner Bücher auf. Ein dunkler Ort, auf dem die Asche liegt, ein Ort der Lethargie, in den nur Träume Schönheit bringen kann. Dort in Meuselwitz hat Hilbig begonnen, Literatur in sich aufzusaugen. Mit Cowboygeschichten fing es an. Sein erstes Gehalt als Lehrling von 80 Mark soll er in eine Gesamtausgabe von E.T.A. Hoffmann investiert haben. Das Virus Literatur war bei Wolfgang Hilbig besonders hartnäckig. Hilbig las nicht nur, das Schreiben wurde für ihn zu einem fast körperlichen Verlangen, wie er später sagte.

Wolfgang Hilbig hat als Schlosser, Werkzeugmacher und Heizer gearbeitet. Die Figur des Heizers ist ihm zum Synonym seiner Arbeit, seiner Person geworden. Tief im Keller, hinter verschlossener Tür, an der ein „Eintritt verboten“-Schild hängt, hatte er sich zurückgezogen, um heimlich zu schreiben. Hilbig war der Aufforderung der DDR-Oberen gefolgt und hatte als Werktätiger zur Feder gegriffen. Doch keine Lobhudeleien auf die Arbeit in der sozialistischen Fabrik schrieb Hilbig, der mit Gedichten begann. Da war nichts Heroisches oder Verklärendes. Hilbigs Tinte war der Schmutz, in dem er arbeitete und lebte. Ihm ging es nicht um ein Abbild der Äußerlichkeiten als Lebensumstände. Hilbig kroch in die Tiefe, wenn man so will in den Heizkeller der Seele, wo gleich neben dem alles antreibenden und gleichzeitig alles verzerrenden Feuer die Asche und der Schmutz liegen. Wenn Hilbig Landschaften beschrieb, dann waren es Seelenlandschaften. Der Ich-Erzähler in „Die Weiber“, ein moderner Quasimodo, der wegen seiner Körperausdünstungen in ein Kellerloch verdammt wird. Die flirrende Welt zwischen Traum und Wirklichkeit in „Alte Abdeckerei“, wenn Hilbig erzählte, tauchte man immer in eine Seelenwelt ein. Hilbigs große Stärke war hierbei die Sprache. Meist schon mit dem ersten Satz schlug er eine Saite, gab ein Tempo vor, wählte die Farben, so dass es einen immer tiefer hineinzog in diese von Hoffmann und auch Kafka beeinflusste Welt. Hilbig schrieb Bücher, mit denen man sich am liebsten in ein Zimmer einschließen wollte, um sich ungestört seiner Sprache hinzugeben. Wenn Hilbig in seinen Gedichten, Erzählungen und Romanen sprach, wollte man Stille.

Auch für seinen wohl schonungslosesten Roman „Das Provisorium“ braucht es Stille. Hier erzählt Hilbig, der 1985 in die BRD ging, von dem Unbehaustsein in dieser Welt. Die DDR hat Hilbig gebraucht, um zu erzählen. Das Leben als Schriftsteller wurde ihm dort, wo er für mehrere Monate ins Gefängnis musste, weil er Gedichte in einem westdeutschen Verlag veröffentlicht hatte, fast unmöglich gemacht. Im Westen wurde er zum Liebling des Literaturbetriebes, der ihn herumreichte, das Kuriosum aus dem Heizkeller. Angekommen scheint Hilbig nirgends.

Im März 2000 hatte Wolfgang Hilbig auf Einladung der PNN im Alten Rathaus aus „Das Provisorium“ gelesen. Er kam in Lederjacke und abgegriffener Aktentasche, als sei er gerade durch das Werktor gegangen. Dann las er vom Suff, von schlaflosen Nächten in Hotels, wo der Erzähler aus Langeweile Pornofilme auf dem hoteleigenen Bezahlsender anschaut. Auf Befindlichkeiten seitens des Lesers oder in diesem Fall des Zuhörers, nahm Hilbig keine Rücksicht. Er las diese schonungslose Abrechnung wie etwas, das er schnell hinter sich bringen wollte. Das Gespräch danach verlief zäh und mit kurzen Antworten, was nicht am Moderator lag. Hilbig hatte seinen Text sprechen lassen. Nun hätte er lieber geschwiegen statt Fragen zu beantworten. Es wirkte so, als würde Hilbig sich zurückwünschen in den Heizkeller. Zurück in diese menschenlose Stille, in der so vieles begann.

Die Veranstaltung „in memoriam Wolfgang Hilbig (1941-2007)“ heute um 20 Uhr im Literaturladen Wist. Der Eintritt ist frei. Plätze können reserviert werden unter Tel. (0331) 280 04 52.

Dirk Becker

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