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Kultur: Tote Dichter und der Kick der Fäulnis Lyrik im Popgewand im Nikolaisaal

Reinhardt Repke hält einen bräunlichen Apfel in die Luft. Der, so erklärt er vergnügt, faule schon seit den Weihnachtstagen vor sich hin.

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Reinhardt Repke hält einen bräunlichen Apfel in die Luft. Der, so erklärt er vergnügt, faule schon seit den Weihnachtstagen vor sich hin. Die ganze Tour über wird der Apfel Reinhardt Repkes „Club der toten Dichter“ begleiten und so war er auch am vergangenen Samstag im gut besuchten Nikolaisaal mit dabei. Grund dafür ist Friedrich Schiller. Der brauchte den Geruch fauler Äpfel, um zu schreiben, wie seine Frau Charlotte einmal an Goethe schrieb. Da sich der „Club der toten Dichter“ aktuell mit den Texten von Friedrich Schiller auseinandersetzt, ist der Apfel samt Geruch also unentbehrlich.

Anders als in dem gleichnamigen Film von 1989 beschäftigt sich der Club nicht rein literarisch mit seinen Lieblingsdichtern: Reinhardt Repke verwandelt ihre Texte mit seinen Kompositionen in Popsongs. Friedrich Schiller ist da nicht der Erste. Auch Texte von Heinrich Heine, Wilhelm Busch und Rainer Maria Rilke hat er sich schon vorgeknöpft. Und es funktioniert: Die Songs im Programm „Freude schöner Götterfunken – Schiller neu vertont“ machen Lust, Gedichte wie „Der Jüngling am Bache“ oder „Das Liebesbündnis schöner Seelen“ in einem ganz neuen Kontext zu betrachten. Besonders Schillers Liebesgedichte, die in Singer/Songwriter-Manier arrangiert sind, wirken so ganz modern. In den Instrumentalphasen ertappt der Zuhörer sich dabei, wie er der letzten Zeile nachsinnt und sich fragt, ob es beruhigend oder beängstigend ist, dass die Sorgen und Freuden junger Menschen sich so wenig verändert haben.

Gemeinsam mit Tim Lorenz am Schlagzeug, Andreas Sperling an den Tasteninstrumenten und Markus Runzheimer an den Bassgitarren bildet Repke die Band. Er selbst singt und spielt Gitarre. Zu jedem Programm lädt der „Club der toten Dichter“ zusätzlich einen Sänger ein. Dieses Mal ist es Dirk Darmstaedter, bekannt aus der Hamburger Band „The Jeremy Days“. Mit seiner hellen Stimme schafft er es, den liebesleidenden oder auch gekränkten Schiller erstaunlich direkt zum Publikum sprechen zu lassen. Der Club versteht es jedoch auch, die oft leicht melancholische Stimmung durch unerwartete Elemente aufzubrechen: durch Folk- oder Soulelemente, Ukulelen- oder indische Tanpuraklänge. Auf diese Art steigern sie sich schnell zu einem regelrechten Höhepunkt. Auslöser ist allerdings nicht der Song, „Freude schöner Götterfunken“, nach dem das Programm benannt wurde. Es ist das Räuberlied. Mit dem wilden Refrain: „Stehlen, morden, huren, balgen, heißt bei uns die Zeit zerstreun“ kommt im Publikum Hochstimmung auf. Es wird mitgesungen und getanzt – wie auf einem Popkonzert eben. Die Sessel im Nikolaisaal wirken da fast schon hinderlich. Schuld daran sind natürlich die Musiker: Bassist Markus Runzheimer zum Beispiel steht fast im rechten Winkel da, wenn er sich beim Spielen umarmend über sein Instrument beugt.

Zum Dank gab es langen Applaus, auch hervorgekitzelt von der Moderation Repkes und Darmstaedters. Ermutigt vom ausgelassenen Publikum geben sie Anekdoten aus Schillers Leben zum Besten oder erzählen augenzwinkernd vom intensiven Zusammenleben auf der Tour. So erfährt der Zuhörer auch, warum Repke ganz allein in seinem Auto reisen muss: Die von Schiller übernommene Inspirationsquelle, der Geruch des faulen Apfels, wird von seinen Kollegen weit weniger geschätzt als von ihm. Clara Neubert

Clara Neubert

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