Kultur: Töte die Maus!
„Kerzen im Fenster“ der Nikolaikirche
Stand:
Die Schauspielerinnen Agnes von Below und Kathleen Ann Thompson führten vor nicht sehr viel Publikum das Stück „Kerzen im Fenster“ direkt vor dem Altar der Nikolaikirche auf. Es schildert die Abschiedsbegegnung zweier Frauen auf dem Perron der Londoner Victoria Train Station. Die Witwe Mrs. Ampthill begleitet die deutsche Jüdin Monika Cramm 1948 an den Zug, weil diese nach Deutschland zurückkehren möchte, zu ihrem Mann. Wegen einer dramaturgisch bemühten Zugverspätung kommt man ins tiefe Gespräch. Der 90-minütige Dialog handelt von Leben und Wirken des Theologen Dietrich Bonhoeffer, ein selbsternannter Reformator im Geiste Luthers, Mitbegründer der Bekennenden Kirche und Märtyrer, als ihn die Nazis 1945 exekutierten. Ihm folgen die Protestanten auch heute, schrieb er doch „Es reicht nicht, dass wir die Opfer verbinden, die unter dem Rad sind, sondern wir müssen uns dem Rad in die Speichen werfen“.
Gut erinnerlich ist noch das Monodram „Zwei Frauen – zwei Welten“ von Inge M. Hugenschmidt-Thürkauf vergangen Mai in der „arche“. Die Autorin setzte sich damals aus christlicher Perspektive mit der längst vergessenen Verantwortung der Wissenschaft vor den Menschen auf Erden auseinander. Christliches Theater, wenn man so will, nicht profitorientiert, den so ungewissen Zeitströmungen eher entgegengesetzt, dafür mit der klaren Botschaft ausgestattet, anders zu denken als andere.
Kathleen Thompson“s Stück ist ganz aristotelisch gebaut. Der Perron gibt den Raum, die verbleibenden Minuten bis zur Abfahrt des Zuges die (freilich verlängerte) Zeit, jede Figur hat ein Wollen: Monica Cramm, einst Haushälterin bei den Bonhoeffers, möchte Ann Ampthill noch kurz überzeugen, sich für die Flüchtlingshilfe im Empire einzusetzen, diese sucht via Bonhoeffer Antworten auf ihre Fragen zur Zerrüttelung der Kirche. Grundsätzliches also in Gegensatzpaaren. Wenigstens sie kennt noch die Theatergesetze. Auch die Protagonisten sind ganz bühnentauglich angelegt. Die Deutsche will zu ihrem Mann, die Britin mit US-Herkunft hat den ihren verloren, er trug nicht, was er im KZ Buchenwald an der Seite Bonhoeffers erlebte und brachte sich nach dem Krieg selbst um.
Nun bemüht die Autorin so ziemlich alles, was einen Christen interessieren sollte, die Menschwerdung Gottes, die Ewigkeit, die Rolle der Kirche in jeder Gesellschaft, sein Tun in dieser Welt: Für Dietrich Bonhoeffer war etwa Erlösung „nicht für die Ewigkeit reserviert, sondern geschieht jeden Tag“.
Zwei zentrale Szenen gaben dem eher gleichförmig aufgeführten Stück viel Effekt, einmal die Frage, ob Monika glaube, ihr Mann habe sie in den zehn Jahren Exil nie betrogen, was dieselbe verunsicherte, zweitens tönte die Haushälterin auf dem Perron von hohen ethischen Werten, doch als eine Maus in ihre Handtasche kroch, rief sie ihrer inzwischen zur Duz-Genossin gewordenen Freundin zu: „Töte sie!“. Die jedoch warf das Tierlein nicht vor das Rad, sie ließ es laufen.
So eindrucksvoll dieses Stück in seiner Anlage war, so neigte die Autoren-Regie eher zum Hörspiel. Zu sehen war eine teils naiv-lebenslustige, teils an theologischen Fragen überforderte Monica Cramm, indes ihre Antagonistin, im Finale zur Flüchtlingshilfe bereit, trotz rhetorischer Brillanz mit einem problematischem Slang zu ringen hatte.
Wie dem auch sei, ein christliches Stück fern allen Kommerzes, dafür voller Fragen: Hatte Jesus denn je gelehrt, sich dem Rad in die Speichen zu werfen? Gerold Paul
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: