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Kultur: Totengedenken und Freudenekstase Eröffnung der „Vocalise“ in der Friedenskirche

„Mauern fallen“ – im Großen wie im Kleinen. Unter dem gleichnamigen Titel eröffnete am Samstag das diesjährige Musikfest „Vocalise“ und gedachte dabei mit einem ambitionierten und symbolträchtigen Programm des Mauerfalls vor 25 Jahren.

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„Mauern fallen“ – im Großen wie im Kleinen. Unter dem gleichnamigen Titel eröffnete am Samstag das diesjährige Musikfest „Vocalise“ und gedachte dabei mit einem ambitionierten und symbolträchtigen Programm des Mauerfalls vor 25 Jahren. Nicht in der angestammten Erlöserkirche, sondern erstmals in der Friedenskirche. Nach dorthin ist für diesen Abend auch die Potsdamer Kantorei der Erlöserkirche gezogen. Ein kleiner Mauerfall, dem bei der dreiwöchigen „Vocalise“ durch weitere Ortswechsel von Potsdamer Chören noch weitere folgen. Bei Wahrung jeglichen Selbstverständnisses: Dem Musikleben der Stadt kann das Niederreißen bisheriger geistiger Mauern nur guttun.

Trauer über Tote und Verzweiflung bestimmt das assoziationsreiche „Berliner Requiem“ von Kurt Weill auf Brecht-Texte, das am Beginn des Eröffnungskonzertes steht. In seinen sechs Teilen gibt es sich anklägerisch, spart auch die Parodie auf jeglichen nationalen Heroismus nicht aus. In dieser Rundfunkkomposition von 1928 bevorzugt Weill eine eingängige Melodik und unkomplizierte harmonische Fortschreitungen. Das bedinge, so der Komponist, „Klarheit und Durchsichtigkeit der Satzweise“. Unter Leitung von Ud Joffe sorgen der Männerchor der Potsdamer Kantorei, Bläser und Schlagzeug des Neuen Kammerorchesters Potsdam, assistiert vom Orgelpositiv, für eine adäquate Wiedergabe. Ein langsames Grundtempo sorgt für Textverständlichkeit der klar und sauber intonierenden, kraftvoll und scharf artikulierenden Choristen. Auch vom anklagenden Gestus der Totenlieder verstehen sie wie auch die Instrumentalisten mit ihrem klangharten und zupackenden Musizieren eine ganze Menge. Von beeindruckender, geradezu gefühlsintensiver Wirkung, weil auf eine klangschöne Gesangslinie großer Wert gelegt ist, versteht der Vortrag der „Ballade vom ertrunkenen Mädchen“ Herz und Verstand gleichermaßen zu rühren. Im Blues-Sound trägt Markus Schäfer (Tenor) den „Marterl“-Epitaph an die ermordete Rosa Luxemburg vor, während Bassist Raimund Nolte den rezitativischen „Zweiten Bericht über den Unbekannten“ Soldaten ausdrucksintensiv gestaltet. Für das martialische Choral-Terzett im „Ersten Bericht“ gesellt sich ihnen der Bassbariton Jonathan de la Paz Zaens hinzu.

Fast nahtlos schließt sich Beethovens 9. Sinfonie op. 125 mit ihrer Botschaft kosmopolitischer Brüderlichkeit an, erreicht durch die unbeugsame Kraft der von Schiller odenbedichteter Freude. Geben sich die ersten beiden Sätze noch etwas saft- und kontrastlos und mit wenig vibrierender Innenspannung, gewinnt die kammermusikalische, auf Details bedachte Deutung zunehmend an gestalterischer Intensität. Instrumental breit ausgesungen ist die Beschreibung blühender Landschaften im dritten Satz, während eine spannende Dynamiksteigerung im Finalsatz der Notwendigkeit für das Bass-Solo „O Freunde, nicht diese Töne“ die Legitimation gibt. Raimund Nolte, Markus Schäfer, Sopranistin Peggy Steiner und Altistin Carolin Masur finden sich zum nicht immer einheitlichen und blühenden Jubilieren zusammen. Glanzvoll und präzise, enorm höhensicher und homogen sorgen dagegen die Choristen durch stimmliches Können und innere Begeisterung für eine fabelhafte Leistung. Riesenbeifall. Peter Buske

Peter Buske

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