Kultur: „Tour de France“
Potsdamer Orgelnacht in der Friedenskirche
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Potsdamer Orgelnacht in der Friedenskirche Der Schreck dringt tief: so jung und schon gebrechlich?! An einigen Passagen in Jehan Alains „Trois Danses“ klappert es unüberhörbar in der mechanischen Traktur der Woehl-Orgel. In der Pause beseitigt der anwesende Orgelbaumeister die Panne: eine geschraubte Verbindung im Pedal hatte sich gelockert. „Kann passieren“, sagt Gerald Woehl, „schließlich ist das Instrument in den letzten Tagen ja arg strapaziert worden!“ Bei der „Potsdamer Orgelnacht“, mit der das einwöchige Orgelweihfest nun sein Ende findet, wird sie es nicht minder. Vier Organisten, Andreas Zacher, Michael Bernecker, Friedrich Meinel und zu später Stunde Dietrich Schönherr, den der Autor leider nicht mehr erleben konnte, wetteifern in der gut besuchten Friedenskirche um die Gunst der „Königin“ und des erwartungsfroh gestimmten Publikums. Viel Französisches gibt es im Verlauf des fünfstündigen Klangmarathons zu erleben. Er beginnt mit Erläuterungen zum Instrument durch Andreas Kitschke, der damit die Panne unterschiedlich verkündeter Anfangszeiten ausbügeln will. In den Startlöchern sitzt Andreas Zacher, Organist an der Propsteikirche Peter und Paul, um Teile seines bereits dort gespielten Programms erneut aufzuführen. Bei Alain (1911-1940) und Louis Vierne (1870-1937) - mit dem Finale aus der 1. Symphonie op. 14 - gibt er sich ungehemmt dem funkelnden Klangrausch hin. Den „Franzosenregistern“ entlockt er einen raffinierten Farbenmix. Johann Sebastian Bachs Triosonate c-Moll BWV 526 spielt er sehr konzertant, weich getönt, freudig bewegt und romantisch im Ausdruck. Auch Michael Bernecker, Orgelsachverständiger der Landeskirche Berlin-Brandenburg und Kantor an der Pauls-Kirche in Berlin, will sich an den Zungenstimmen ausprobieren. Das Andante aus der Orgelsonate d-Moll op. 61 Nr. 4 von Alexandre Guilmant (1837-1911) lässt er sehr introvertiert aufklingen. Bläserstimmenreiche Register wie Trompete und Fagott zieht er für „Piece heroique“ von Cesar Franck (1822-1890), die heroischen Attributen entsprechen und durch toccatische Bravour nebst Echowirkungen begeistern. Seine gleichfalls romantisch geprägte und weich getönte Bach-Sicht stellt er mit vier Chorälen (aus „Achtzehn Chorälen von verschiedener Art“) vor. Dass man den Barockmeister auf der Woehl-Orgel nicht nur softig und seelensanft spielen kann, beweist Friedrich Meinel auf maßstabsetzende Art. Präludium und Fuge h-Moll BWV 544 zeigen Biss, aufwühlende Gestaltung und klangscharfen Mixturenglanz. Mit entsprechender Artikulation, überzeugender Phrasierung und sinnstiftender Registrierung lässt sich auch ein Bach spannend wiedergeben: erhaben, überschaubar in seinen Strukturen. Doch Meinel versteht sich auch mit Franzosen ganz vorzüglich. Den ersten Teil von Cesar Francks Prelude, Fugue et Variation h-Moll op. 18 Nr. 3 spielt er als klar konturierte, pastellfarbene, dennoch leuchtkräftige Zeichnung, die Fuge als ölfarbengesättigtes Gemälde. Nicht weniger überwältigend, wie der Doyen der Potsdamer Organistengilde Prelude et Fuge g-Moll op. 7. Nr. 3 von Marcel Dupré (1886-1971) in ein gleichsam naturales Erlebnis verwandelt. Diskantstimmig, wie ein munter über Steine sprudelnder Gebirgsbach stürzt sich das Prelude zu (Noten-)Tal, um dort als breit und mächtig fließender (Fugen-)Strom die Sinne zu erregen. Und dann erst die Begegnung mit der immensen Sinnenkunst eines Olivier Messiaen (1908-1992). Schwebungsreich und ätherisch sich verströmend erklingt aus der „Himmelfahrt“ das Stück über „Majestät Christi, der seine Verherrlichung vom Vater erbittet“. Meinel ist dafür der beste Fürsprecher. Was für eine Hingabe, mit der er das „Dieu parmi nous“ (Gott unter uns) aus „Die Geburt des Herrn“ in die klangliche und gedankliche Ekstase steigert. Überwältigend, dieser Ausbruch von Leidenschaft. Zwischenzeitlich lädt die Kammermusikvereinigung „Johann Joachim Quantz“ zum Zwecke geistiger Abwechslung und Beinevertreten zu barocker Sonatenunterhaltung (u.a. mit georg Philipp Telemann, Antonio Vivaldi und georg Friedrich Händel) vor die Kircheneingangstüren. Auch dort werden die Sitzplätze alsbald rar. Unterhaltsam und entspannend geht es zu. Der Musiker tonklares Spiel wetteifert mit dem Vogelgezwitscher. „Doch es ist leichter gegen Schwalben anzugehen als gegen Nachtigallen“, kommentiert Flötist Christian Lau launig das freiluftige Geschehen. Doch nicht nur die Seele, auch der Körper lässt sich bei Bratwurst, Bier und Rotwein wieder regenerieren.Peter Buske
Peter Buske
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