Kultur: Tradition ist nicht nur „Stochern in kalter Asche“
Arche-Vortrag von Franziska Salowski über Geschichte und Gegenwart der Sorben
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Schwarzes Seidenhäubchen, schwarzes Mieder, weiße Puffärmel und ein bunter Blumenrock. So inszenierte sich am Dienstagabend eine ungewöhnliche Weiblichkeit in den Räumen der „arche“, wo gewöhnlich ein eher patriarchalisches Ambiente vorherrscht. Die sorbische Studentin Franziska Salowski und ihre Schwester wählten diese Kostümierung, um ihren Vortrag über die Geschichte, Kultur und Tradition der katholischen Sorben sinnlich zu akzentuieren.
Das Gebiet der katholischen Obersorben, so berichtete Franziska Salowski, läge zwischen Kamenz, Hoyerswerda und Senftenberg. Wittichenau, ihre Heimatstadt, genau mittendrin. Während des historischen Exkurses war zu erfahren, dass die Sorben seit 1400 Jahren im Gebiet westlich der Oder, der heutigen Lausitz, lebten. Seit 928 gehörte das Gebiet der Sorben zum Bistum Meißen. Die Sorben hätten nie eine Hierarchie entwickelt. Sie wären immer Bauern gewesen, mehr oder weniger durch deutsche Herrschaftsstrukturen fremdbestimmt. Bis zum 30jährigen Krieg blieben die Sorben slawischsprachig. Nur die Städte entwickelten sich zu deutschsprachigen Inseln. Zur Zeit der Reformation unterstand die Lausitz dem böhmischen König, der vergeblich versuchte, die Reformation zu verhindern.
Nur die Sorben in den Besitzungen des Klosters St. Marienstern in Panschwitz - Kukau und des Bautzener Domstiftes St. Petri blieben katholisch. Nach ihrer geschichtlichen, geografischen, sprachlichen, kulturellen und religiösen Entwicklung wären noch heute zwei Gruppen zu unterscheiden: die katholischen Obersorben und die protestantischen Niedersorben. Die obersorbische Sprache wäre der slowakischen Sprache ähnlich. Die niedersorbische ähnelte dem Polnischen. Besonders die katholischen Obersorben in den ländlichen Gemeinden konnten ihre Bräuche und Traditionen bis heute bewahren. Die doppelte Abgrenzung, gegen den Protestantismus und gegen die Deutschen, bewirkte nach Annahme Salowskis möglicherweise das besondere Verharren in der Tradition.
Die Übersetzung der Bibel in die sorbische Sprache beförderte die sorbische Schriftkultur. Erst zur Zeit der Romantik entwickelte sich eine eigene Nationalliteratur. Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert, die Zuwanderung Fremder und die Auswanderung vieler Sorben schwächte die slawische Minderheit. Zum kulturellen Mittelpunkt wurde die 1912 gegründete Domowina (Bund der Lausitzer Sorben), die während der NS-Zeit verboten wurde. Obwohl der Schutz der Minderheiten zur DDR-Zeit gesetzlich verbrieft wurde und man verschiedene Institutionen zum Erhalt der sorbischen Kultur und Sprache schuf, blieb es in dieser Zeit bei einer scheinbaren Förderung, da die Religion ausgeklammert wurde. Gerade sie wäre aber für die Identität der katholischen Obersorben besonders wichtig gewesen. Erst nach 1990 hätte das Wiederaufleben der christlich-sorbischen Bräuche und Traditionen ein neues Selbstbewusstsein der katholischen Obersorben bewirkt so Franziska Salowski.
Mit einem Film, mit Fotos und Büchern erklärte Franziska Salowski die wichtigsten Feste des Kalenderjahres, die auf eine enge Verschmelzung der heidnischen und christlichen Bräuche verweisen: die Vogelhochzeit im Januar, das Osterreiten, die Hexenverbrennung im April, die Pfingstprozession, das Fronleichnamfest, das Erntedankfest, das St. Martinsfest oder das St. Barbarafest . Zu allen Festen gäbe es besondere Trachten, die sehr aufwendig herzustellen wären. Bei ihrer Gestaltung gäbe es spezielle familiäre Traditionen. Regen Zuspruch fände zurzeit das Kindergartenprojekt "Vitaj", das ein frühkindliches gemeinschaftliches Erlernen der sorbischen Sprache beinhaltete. Nur die bilingualen Mittelschulen hätten Nachwuchsprobleme, da die archaische sorbische Sprache keine Wissenschaftssprache wäre. Dass Tradition nicht „das Stochern in kalter Asche“ sondern munteres gegenwärtiges Leben bedeuteten könnte, wenn die Inhalte stimmten, befand ein besonders begeisterter Zuhörer, der bereits seinen Umzug in die Oberlausitz geplant hat.
Der Einladung, an einem der zahlreichen Festtage des Oberlausitzer Kalenders teilzunehmen, werden möglicherweise viele Zuhörer dieses Abends gerne folgen. Barbara Wiesener
Barbara Wiesener
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