Kultur: Traditionalist nach eigenen Vorstellungen
Das Giacomo Aula Trio gastierte im Foyer des Nikolaisaals
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Das Giacomo Aula Trio gastierte im Foyer des Nikolaisaals Nur Tradition, so wurde kürzlich Gustav Mahler in einer Gesprächsrunde im Foyer des Nikolaisaals zitiert, sei Schlamperei. Wer ständig einfallslos auf Altbekanntem herumreitet, der darf sich nicht wundern, wenn das, was er anbietet, vom Publikum als Schindmähre Langeweile angesehen wird. Und gibt es was Traditionelleres im Jazz als die Trioformation Piano, Kontrabass und Schlagzeug? Fällt dann auch noch, eigentlich unvermeidbar, das Wort Standard, dann ist Vorsicht geboten. Denn allzu schnell kann so ein Abend im klassischen Jazzformat zum endlosen Wiederkäuen des üblichen Zeugs verkommen. Der Italiener Giacomo Aula wird sich dessen bewusst sein, doch steht er ihr mit südländischer Gelassenheit gegenüber. Wäre er Amerikaner, so würde der Vergleich mit den Großen schon zwangsläufig erfolgen. Doch bis in seine Heimat reichen die lange Schatten eines Ellington oder Evans auch wieder nicht. Und so kann er sich, gar nicht erst behelligt mit der Last der Erwartungen, viel freier bewegen, wie er bei den Foyer-Variationen mit seinen Mitstreitern Peter Klinke und Thomas Alkier bewies. Der seit kurzem in Berlin lebende Pianist ist bekennender Traditionalist. Doch ist ihm das Bekannte Grundlage, oft nur vages Zitat für die eigenen Ideen. Ob Eigenkomposition oder Standard, Aulas Spiel war von ausgeprägter Gelassenheit. Ob nun Gordon Jerkins“ „Goodbye“, sein, dem Komponisten Nino Rota gewidmetes „Canzone per Nino Rota“ oder Bill Evans“ „Comrade Conrad“, Aula hatte Zeit. Er begann tastend mit verspielten Einleitungen, von denen er sich selbst zu überraschen schien. Dann ließ er das Thema anklingen, das von Klinke am Bass und Alkier am Schlagzeug gefühlvoll aufgenommen und weitergetragen wurde. Immer wieder brach Aula die Kompositionen auf und ließ sich oder seine Mitmusiker in Improvisationen fallen. Oft ausschweifend aber nie verkopft, zeigte Aula gerade hier seine Vorliebe für leicht Vertracktes, sprunghaft Rhythmisches, nie ohne eine gewisse Komik und Ironie. Mit „Agosto“, Aulas erster jahreszeitlicher Anspielung, der noch eine ganz bekannte folgen sollte, ließ er die Ballade sprechen. Sparsame Single-Notes, stolpernde Akkorde in verschleppten Tempi, die von seiner hervorragenden Rhythmuscombo wunderbar aufgegriffen wurden, war das die Trägheit und Schwermut mancher Spätsommerabende pur. Mit „Autumn Leaves“ folgte dann die zweite jahreszeitliche Anspielung und ein Standard, der eigentlich verboten gehört, weil allzu oft gespielt. Doch mit dem Giacomo Aula Trio wurde aus diesem schleichenden Blues ein treibender Swing. Leichtfüßig und lebenssatt, so fröhlich wurde Jerome Kerns Herbstmelancholie schon lange nicht interpretiert. Giacomo Aula zeigte sich so als Musiker, der sich zwar der Tradition verpflicht fühlt, jedoch immer nur soweit, wie sie den eigenen Ideen, den eigenen Interpretationen förderlich ist. Zwei Zugaben: Ellingtons „In a sentimental mood“ und ein Lied, das Aula vor einem Monat während seiner Tour in Madrid schrieb. Er widmete es an diesem Abend dieser Stadt, in einer Zeit, wie er erklärte, in der die Welt vor allem Frieden benötige. Dirk Becker
Dirk Becker
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