Kultur: Tragende Köpfe und flirrende Farben
Ein ungleiches Paar: Lothar Seruset und Jens Wohlrab mit Skulpturen und Malerei im Kunsthaus
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Skulptur und Malerei gehen zusammen: Die Skulptur steht im Raum und schafft manchmal sogar noch Blickachsen zur Malerei. Die, wie könnte es anders sein, hängt an den Wänden. Da nimmt die eine der anderen nichts. Niemand streitet sich darum, wer der bessere Künstler sei. Die Fläche im Raum und an den Wänden ist genutzt, dazwischen noch genügend Platz für die Galeriebesucher. Nun denn. Was will man auch anderes tun mit diesen traditionellen künstlerischen Formen? Und vor allem: beide Künstler sind ehemalige Meisterschüler, da spricht doch die Qualität für sich.
Das Kunsthaus Potsdam zeigt derzeit eine Ausstellung, in der ein ungleiches Paar aufeinandertrifft: Unterschiedliche Materialien und Arbeitsweisen, unterschiedliche Thematiken, Biographien und sicher auch Interessen. Jens Wohlrab ist ein Maler, dessen Bilder auch alleine genügend Ausstrahlungskraft besitzen würden. Sie benötigen weder den „Wächter“ von Lothar Seruset noch seine sich wiederholenden Kopfstehenden. Nichts gegen Fantasie und Fleiß des 1956 in Ulm geborenen Lothar Seruset, nichts gegen Baselitz-Anspielungen. Aber man meint bei allen seinen ausgestellten Skulpturen, die habe man irgendwo schon so gesehen. Man erlebt eben keinen Aha-Effekt, wenn sich Mann und Frau gegenseitig tragen, in ihrer Mitte ein fast noch bluttropfendes Herz sie kaum zusammen hält. Die Symbolik ist noch älter als das Holz, aus dem sie geschnitzt wurde. Oder „Frau Fisch“, die auf einem grünlichen Riesenfisch ihr wackeliges Gleichgewicht findet und ihren stoischen Blick unter einer Art Hund zelebriert. Den trägt sie, wie die afrikanischen Frauen ihre Kalebassen, auf dem Kopf. Männer haben wiederum Boote auf ihren Köpfen: in einem steht der Hund auch mal kopfüber wie die Männer, die – als Variation – Kopf- und Handstand machen. Da wird viel schwer getragen, die Leichtigkeit verzweifelt gesucht.
Dafür bietet Jens Wohlrab eine neue Sicht auf die Dinge, die uns umgeben, obwohl man diese erst einmal in seinen Bildern, die vor Farbe nur so strotzen, erkennen muss. Großformatig sind die Arbeiten, die gut zur Geltung kommen und mit den neonleuchtenden Couleurs den Betrachter sowohl anziehen als auch abschrecken. Anziehend sind sie wegen ihres Werbecharakters, den sie durch den manchmal aufdringlich wirkenden Farbauftrag erhalten. Und abschreckend wegen genau derselben Aufdringlichkeit. Die Farben erinnern an Fotos, die man im Computer bearbeitet hat und durch einfache Programmierung von ihren Blau-, Grün- und Rottönen befreit oder sie verstärkt. Der Effekt aber ist, obwohl der Subtext Fotografie deutlich mitschwingt, eindeutig malerisch. Wohlrab nutzt Fotografien von städtischen Plätzen, Straßen oder Einkaufsszenen, die er farblich neu codiert und auf eine Leinwand bringt. Dadurch erhalten all diese Szenen eine Unwirklichkeit. Sie sind wie die Landschaft greller Träume, nicht albtraumartig, nur irgendwie entfernt.
So ist das „Adagio“ eine Art entrückter Landschaft mit der Ahnung gelebter Wirklichkeit. Wohlrab lässt es in grellem Lila schwelgen, aus dem sich die Passanten, Fahrräder, Häuser und Autos wie in zu schneller Belichtung herausdrücken, als seien sie in einer bestimmten Foto-Entwicklungsstufe festgefroren. So erzielt der fotografierende Maler einen Stillstand, in dem die Geschwindigkeit unserer Zeit durch die Farbigkeit in ihrer Bewegung verklebt erscheint. Die Ahnung der Zivilisation wird in diesen Arbeiten „verhaftet“; eingefroren die Bewegungen, die Hektik und der Stress, aus denen sich eine moderne Poesie entfaltet.
In seinen kleineren Gemälden arbeitet der 1965 geborene Künstler mit Farbflecken, die wie das Flimmern vor dem Auge desjenigen aufscheinen, den gerade ein Schwindel befallen hat. Und in all dem Schwindel ergreift die Ahnung einer tiefer liegenden Wirklichkeit Besitz vom Betrachter.
Bis 31. August, Mi bis Fr 15 bis 18 Uhr, Sa und So 12 bis 17 Uhr, Ulanenweg 9.
Lore Bardens
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