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Kultur: Transatlantisches Musizieren

Das Palo Alto Kammerorchester aus Kalifornien gemeinsam mit Potsdamer Musikschülern im Nikolaisaal

Stand:

Natürlich gebührt den weitgereisten Gästen aus Übersee der Vortritt!

Auf ihrer Europatournee machte das kalifornische „Palo Alto Kammerorchester“ am Donnerstag auch in Potsdam Station. Der Nikolaisaal war der letzte Austragungsort eines recht originellen Konzertes, welches zuvor schon Budapest, Wien, Prag und Leipzig erlebte. Die lokale Besonderheit: Man musizierte gleichsam Seit an Seit mit dem Jugendsinfonieorchester und dem Gemischten Chor der hiesigen Städtischen Musikschule. Die US-Amerikaner haben offenbar eine ziemliche Fan-Gemeinde, schon beim Auftritt der Dirigenten Kris Yenney und Benjamin Simon brach im gutbesuchten Saal ein ganz erstaunlicher Jubel aus, zwei Stunden später dann zu ovationsähnlichen Elogen gesteigert. Merkwürdig auch, dass das Palo Alto-Orchester überwiegend aus asienstämmigen Musikern besteht. Man durfte also bei Corellis Concerto Grosso Opus 6 Nr. 6 in F-Dur und Mendelssohn-Bartholdys Streicher-Symphonie Nr. 7 in D-Dur etwas Besonderes erwarten, zumal den jugendlichen Amateuren Hingabe an die Sache und Konzentration beim Spiel an den Gesichtern abzulesen war.

Kris Yenney dirigierte mit weitausladenden Gesten einen sehr warmen Introitus in Corellis fünfsätziges Werk. Weicher fugaler Aufbau im folgenden Allegro, zügig durchgeführte Tempi im Schluss-Satz, bevor das Publikum geradezu in Begeisterung ausbrach. Etwas zu kurz kamen die Solopassagen der Streicher, das Ganze aber wirkte geschlossen und auch sehr beseelt. Mit noch größerem Lorbeer wurde Benjamin Simon begrüßt. 2002 zum Musikdirektor berufen, legt er besonderen Wert auf die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Hier aber Mendelssohn-Bartholdy, auch in fünf Sätzen: Ein starker, höchst lebhafter Auftakt, das Orchester stürzte sich fast in medias res. Klare Gestaltung des folgenden, vielleicht mit etwas US-Sentiment gepuderten Andantes, um im vierten auf und davon zu eilen. Vielleicht war das Menuetto kein Menuett, sondern sinfonischer Lesart, egal, ein Finale grandissimo brachte auch hier das Publikum mächtig in Schwung.

Die Potsdamer Musikschule war eingangs mit zwei Stücken aus Bachs weltlicher Kantate „Töne, ihr Pauken“ (BWV 214) für Chor und Orchester zu hören, wozu auch die Kontrafraktur „Blühet, ihr Linden“ gehört. Dieser Start war leider nicht sehr perfekt, Marion Kuchenbecker schien sich mehr auf den Gemischten Chor denn aufs Orchester zu konzentrieren, was dieses manchmal fast „verschwinden“ ließ. Von den vier A-cappella-Darbietungen im Anschluss bleibt Halmos Laszlo“s „Jubilate deo“ etwas mehr im Gedächtnis als der Part „Odi et amo“ aus Orffs Catulli Carmina, oder Il bianco von Jacques Arcadelt. Auch Jürgen Runge hatte einen Mendelssohn-Bartholdy zu bieten, „Verleih uns Frieden gnädiglich“ nach Worten von Luther. Hier schien das Verhältnis von Chor und Orchester gelegentlich umgekehrt, sonst aber gut. Fast eine Offenbarung zuvor Schuberts „Unvollendete“ in h-Moll, im ersten Satz. Kraft, Gewicht, starke Dramatik, es wurde mit den Gästen gemeinsam musiziert. Wunderbar, wenn nur die seltsamen Trompeter nicht geirrt hätten, noch während des Satzes wurden sie ausgetauscht.

Musizierte Gemeinsamkeit auch beim Finale mit Dvoraks 4. Satz der 9. Sinfonie „Aus der neuen Welt“. Simon dirigierte. Das hatte man noch nie so gehört, so muss die Gewalt sein, wenn sie nach Musikern greift! Transatlantische Tutti furiosi wie ein Hurrikan, leicht militärischer Zack, was soll man da sagen! Gut für alle, die“s erlebten. Ovationen, Zugaben, Blumen.

Gerold Paul

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