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Kultur: Transparent

Jüdische Gesänge mit dem Rias-Kammerchor

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Mit irgendeiner Glaubensgemeinschaft hatte er nichts am Hut, geschweige denn im Sinn. Dennoch beschäftigte sich der Komponist Stefan Wolpe (1902-1971) mit jüdischer Religion und Geschichte. Vom jüdischen Gemeinwesen im britischen Mandatsgebiet, in das er ohne Jude zu sein gleich anderen Einwanderern 1934 eintrat, erhoffte er sich Solidarität und Gemeinsinn, die Erfüllung seines Traumes von einer sozialistischen, auf Entfaltung des Einzelnen gerichteten Gesellschaft. Ein vergebliches Sinnen und Trachten. Was ihn jedoch nicht hinderte, dreizehn Glaubenssätze des Talmud für einen Kantor, Chor und Orgel als „Yigdal“-Kantate zu vertonen. Deren Aufführung war krönender Abschluss jenes „Vocalise“-Konzerts in der Erlöserkirche, das sich mit jüdischer Musik im Spannungsfeld von Synagoge und Konzertsaal beschäftigte.

Von der Orgelempore herab wird sie von Yaron Windmüller (Bariton), Habakuk Traber (an der Schuke-Orgel) und Mitgliedern des Rias-Kammerchors unter Leitung von Ud Joffe angestimmt. Spröde und dissonanzenreich hört sich die dem christlichen Glaubensbekenntnis nicht unähnliche, zwölftonnahe Komposition an. In hebräischer Sprache vorgetragen, bedarf es des fleißigen Mitlesens der deutschen Übersetzung im Programmheft. Dem zweiten Teil lassen sich zweifellos Distler- und Pepping-nahe Einflüsse abhören, während der dritte nicht mit Messiaenschen Anmutungen spart. Orgelzwischenspiele, trompetenschnarrend oder prinzipalscharf registriert, gliedern und verklammern die Abschnitte. Mit einem lange ausgehaltenen Ton auf dem Wort „ewig“ endet das Werk. Von nicht weniger symbolträchtiger Bedeutung sind im lakonischen Nachspiel die akkordischen Ausrufezeichen, denen allerdings ein Fragezeichen folgt.

Faszinierend sauber, bestechend klar und überwältigend transparent singt der Rias-Kammerchor seinen höchst diffizilen Part. Auch in der zuvor erklungenen Wolpeschen Motette „Jesaja 43, 18-21“, einst geschrieben für einen Laienchorwettbewerb, meistern die Rias-Kammerchoristen jegliche Hürden anspruchsvollsten A-cappella-Gesangs. Wovon sie natürlich gleich zu Konzertbeginn künden: in Psalmvertonungen und traditionellen Gebeten nach sephardischer oder jemenitischer Tradition, wie sie sie Paul Ben-Haim (1897-1984) als Stammvater der späteren israelischen Komponistengenerationen niederschrieb. Aus intensivem Summen heraus löst sich in „Psalm 126“ ein aus acht kraftvollen Männerkehlen angestimmter Lobgesang. In „Essa Enaj“ (Ich hebe meine Augen) tritt die betörende Klarheit der Frauenstimmen hinzu. Vibratolos, ansatzperfekt und mit leichter Herbheit singt sich der „herrliche Anblick“ des „Jefe Nof“ aus.

Ebenfalls in Deutschland geboren sind Yehezkel Braun (geb. 1922) und Tzvi Avni (geb. 1927), die später emigrierten. Von ersterem erklingt der schlichte Lobgesang „Adon olam“ (Herr der Welt), von letzterem die „Mismorei Tehilim“, höchst artifizielle Psalmgesänge. Ihr linearer, meditativer Stil ist an der Gregorianik geschult, versagt sich jegliche romantisch-geprägte Versenkung. Auch hier intonieren die Chorsänger perfekt, sodass die Stücke durch ihre exzellente Stimmkultur sogar eine gewisse Nüchternheit ausstrahlen, die dennoch die Seele erwärmen. Die Emanzipation vom Gebetsraum ist, wie im Programm erläutert, nun endgültig vollzogen. Peter Buske

Peter Buske

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