Kultur: Trompetenvirtuos, orchesterbrillant
Kammerakademie Potsdam beim 2. Sinfoniekonzert des Nikolaisaals
Stand:
Natürlich trägt er, der russische Startrompeter Sergei Nakariakow, die Virtuosität im Huckepack mit sich herum. Doch nun gleich das von der Kammerakademie Potsdam bestrittene 2. Sinfoniekonzert der Nikolaisaalreihe als „Trompete virtuos“ zu annoncieren, ist ein wenig wie das Vortäuschen falscher Tatsachen. Denn der Hochgerühmte ist nur mit einem Stück präsent, dazu nicht mal einem originären. Das vorgestellte d-Moll-Konzert des 13-jährigen Felix Mendelsohn Bartholdy ist an sich ein filigranes, perfekt aufeinander abgestimmtes Violinkonzert. Nun hat Vater Nakariakow dieses zart getönte, klangfarbenreiche Gebilde für seinen Sohn bearbeitet, arrangiert, transkribiert – wie immer man die künstlerisch wenig befriedigende Adaption, deren Gefüge nun aus den Fugen ist, auch bezeichnen möge. Mit ihr kann Sergei seine Virtuosität eindrucksvoll herausstellen. Da steht es nun, das schmächtige Kerlchen, vor der streicherbesetzten Kammerakademie, und bläst aus vollen Lungen unbekümmert die herrlichsten Melodien. Schier endlos klingen Läufe und Stakkati, ohne – so scheint es – dabei je Luft zu holen. Was er natürlich tut. Diese Technik des ständigen Atemholens und gleichzeitigen Töneblasens über lange Distanzen beherrscht Sergei Nakariakow perfekt. Darüber hinaus verfügt er über einen weichen Ansatz à la Güttler, leichte Artikulation und glanzvolles Strahlen ohne Kraftmeierei. Dem gefälligen Konzert nähert er sich mit Spielfreude und bemerkenswert facettenreichem Ton. So funkelt das Andante in aller Innigkeit, trumpft das Allegro nach Virtuosenmanier zuerst tänzerisch beschwingt, dann temporasant auf. Das Auditorium jubelt, erklatscht sich eine Zugabe.
Davor und danach ist die Kammerakademie Potsdam unter Leitung von Michael Sanderling der weitere Star des Abends, der sich die Musik des 20. Jahrhunderts auf die (Programm-)Fahne geheftet hat. Mit Hingabe breitet sie eingangs die „Variationen über ein Thema von Frank Bridge“ von Benjamin Britten (1913-1976) aus: transparent, präzise, klangdelikat, mit parodistischem Pfeffer. Kapriziös zeigt sich die „Romance“, voller instrumentaler Bravour à la Rossini die „Aria italiana“, rasant à la Rimski-Korsakows „Hummelflug“ das „Moto perpetuo“, spannungsgeladen der „Funeral March“... Immer wieder zaubert Konzertmeister Peter Rainer prächtige Violinsoli „aus dem Hut“.
Nicht weniger überraschend der bis dato geheim gehaltene „unerhört?gehört!“-Beitrag, der sich als ein (Klang-)Bild aus der Sammlung „Fotografien für Streicher“ des Russen Rodion Schtschedrin erweist: „Der Stalin-Cocktail“. Ob nun geschüttelt oder gerührt: die beklemmende Musik geizt nicht mit reichlich vordergründigen Instrumentaleffekten, gibt sich dissonant, schrill und anklagend. Eine passende Überleitung zur Kammersinfonie op. 73a von Dmitri Schostakowitsch, die Rudolf Barschai nach dem 3. Streichquartett (1946 entstanden) höchst meisterlich verfertigt hat, wobei sich zu Streichern Holzbläser und Harfe gesellen.
Ausdrucksintensiv loten Musiker und Michael Sanderling das zunächst sich heiter und unbeschwert gebende Werk aus, führen es in die aufwühlenden Erinnerungen an den „Großen Vaterländischen Krieg“, beschwören Kampfgetümmel. Anklänge an so manches Thema aus der „Leningrader Sinfonie“ sind unüberhörbar, werden mit aggressivem Biss und pathetischem Brio musiziert. Die Kantilenen von Oboe, Cello, und Fagott führen schließlich in den fahlen, fragenden Abgesang. Ein überzeugend konzipiertes, jedoch nicht immer nach jedermanns Geschmack sich zeigendes Programm.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: