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Kultur: Tsunami des Schlagzeugs

Martin Grubinger ließ den Nikolaisaal erbeben

Stand:

Einen besseren Dienst hätte man der leidgeprüften modernen Musik gar nicht erweisen können. Alles stimmte bei diesem hinreißenden Konzert des Österreichers Martin Grubinger und seinen mitpercussierenden „friends“ am Freitag im Nikolaisaal: Das fünfköpfige Ensemble war hochmotiviert, das noch immer zu steril wirkende Konzerthaus schon Wochen vorher ausverkauft, die vorgestellte Literatur nicht älter als dreißig Jahre, und das in Alter und Reifung sehr gemischte Publikum derart begeistert, dass sich nach mehr als zwei Stunden Konzert fast der ganze Saal mit stehenden Ovationen der tosenden Art bedankte. Natürlich blieb das Pfeifen und Jubeln hinter den ungeheuren Volumina der Bühne weit zurück, aber sagte der Stargast und Wundertäter des Abends, Martin Grubinger jun., vor dem letzten Stück nicht selbst, man könne sich ja etwas in die Ohren tun?

Wie das Percussionieren in dieser Kompaktheit ein Kind des 20. Jahrhunderts ist, so hat sie wohl ihr Ziel erreicht, wenn sie, wie im Nikolaisaal, die Herzen ergreift, an die Seele kommen nicht mal die zartesten Anrührungen auf der Marimba heran. Dieses Instrument stand im Mittelpunkt des Abends, vorn an der Rampe. Sonst waren ganze Batterien von Instrumenten aufgebaut, vom großen Gong bis zur Großen Trommel, von Triangel, Bongo und Conga bis zu komplettem Schlagzeug und den frei schwingenden Metallröhren. Beeindruckend, aber die vorgestellte Literatur reichte ja auch von Abe bis zu Xenakis.

Vielleicht war Keiko Abes Eröffnungsstück „The Wave“ (2000) wirklich auf die Erforschung des Möglichen hin komponiert, wie bei Bach etwa die Kunst der Fuge. Die Ausdrucksformen eines Percussionsinstrumentariums sind und bleiben begrenzt, selbst wenn sie mit bis zu sechs Schlegeln ausgeführt werden sollen. Motivaufbau, Parallelität, die ganze Skala von Fortissimo bis pianissimo, Pausierung, Phrase oder Synkope, das klingt eben ein bisschen anders als in der „klassischen“ Instrumentierung.

Neben dem jungen Meister an der Marimba führten sein Lehrer Leonhard Schmidinger, sein gleichnamiger Erzeuger Martin Grubinger sen., der exzellente Schlagzeuger Rainer Furthner und die erst dreiundzwanzigjährige Sabine Pyrker, diesen „Schlagzeug-Tsunami“ der Japanerin mit Kraft und Eleganz aus. In Ermangelung eines „richtigen“ Orchesters spielte Per Rundberg einen Klavierauszug zu Keiko Abes „Prism Rhapsody“ für Solo-Marimba und Orchester, sowie dem Martin Grubinger gewidmeten Opus von Bruno Hartl. Sein Stil erinnerte ein wenig an Frederic Chopin. Wer sich nicht so an diesen jazzigen, verrückten, überdrehten und lauten Klängen der Neuzeit erfreuen konnte, dem blieb immer noch die sympathische Art des multitalentierten Juniors, vor allem die wirklich beispielgebende Freude, mit der hier musiziert worden ist.

Man hatte einfach Laune am Spiel, das übertrug sich auch über die Rampe bis zum tobenden Applaus ins Publikum. Von Altmeister Iannis Xenakis gab es dann noch das berühmte (und auch hörbare) „Okho“ für drei Percussionisten, die Ghana-Hommage von Matthias Schmitt und ein wirklich klassisch-schönes „Marimba-Spiritual“ von Minoru Miki. Nach jedem Vortrag gab es extrem viel Applaus, nach den Zugaben ein rundum zufriedenes Publikum. Ein schöner Dienst an der Gegenwart. Gerold Paul

Gerold Paul

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