Kultur: Turbulentes Treiben kontra pastorale Erbauung
Sinfoniekonzert mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt im Nikolaisaal
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Sinfoniekonzert mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt im Nikolaisaal Keck ist er unter keifende Marktweiber und gelehrte Professoren gefahren, hat ihnen die Körbe umgestürzt und sie ob ihrer Scholastik ausgelacht. Selbst unter Mönchskutte bleibt er, was er ist: ein Schalksnarr. Er führt gottlose Reden und verfällt der Liebe. Doch dann folgt die hochnotpeinliche Befragung vor Gericht. Zunächst keck, dann zögerlich bis verängstigt, schließlich winselnd antwortet er den Anklagen. Beim Richterspruch jedoch vergeht ihm das Lachen. Kaum aufgeknüpft, kullert und kichert sein Motiv schon wieder herauf. Er ist eben unsterblich. Mit seiner schelmenweisen Hommage „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ hat Richard Strauss ihn unsterblich gemacht. Beim 6. Sinfoniekonzert im Nikolaisaal, gespielt vom Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt unter Leitung von Heribert Beissel, darf er gleich zu Beginn das große Wort führen. Das Podium ist randvoll mit Musikern besetzt. Unwillkürlich drängt sich einem das Bild vom aufmüpfigen Narren gegen den Rest der Welt auf. Er aber flitzt mit kecken Kapriolen und Verrenkungen hindurch, wirbelt alles durcheinander. Transparent und detailgenau enthüllt Heribert Beissel das tolle Treiben, dabei mit Klangwitz und raffiniert servierten Übergängen vom Derben ins Kapriziöse, vom Lyrischen zum Beklemmenden nicht sparend. Das Publikum delektiert sich am Wispern der Fagotte genauso wie an den Saitentänzen der konzertmeisterlichen Violine (Juri Toschmakow), den exzellenten Einwürfen von Trompeten und Hörnern. Doch auch Klarinette, Flöte und Oboe wissen die Schelmenstreiche mit köstlichem Humor anzureichern. Augenzwinkernde Wiederauferstehung erfährt nicht nur das Mittelalter, sondern auch das Zeitalter der Aufklärung. Mit seinem Concerto grosso Nr. 1 hat der russische Avantgardist Alfred Schnittke (1934-1998) der Epoche und dem Genre einen gewitzten Gruß ins Notenalbum geschrieben. Im Pre- und Postludio schwingen tiefe Klavierakkorde gleichsam wie dumpfe Schläge vom Spasski-Turm des Moskauer Kreml, assistiert von Glockenspielen der Uspenski-Kathedrale, hervorgerufen auf den Saiten des entsprechend präparierten Flügels. Ein überwältigender Eindruck, der Anfang und Ende einer Geisterstunde zur Beschwörung des Barocks suggeriert. Wenn der Pianist Andreas Schneider dann das gläsern klingende, zuweilen modern verfremdete Cembalo spielt, sind vergangene Zeiten nicht fern. Die neutönerischen brechen mit dissonanter Gewalt herein. Aus diesem Kontrast entwickelt sich ein widerstreitender Dialog zwischen Streichertutti und zwei Violinen (Vladlen Chernomor, Dmitri Mishelowitsch), bizarr und anregend zugleich. Ein Saitenriss auf dem Instrument von Dmitri zwingt zur Unterbrechung, der die Wiederholung des Toccata-Satzes folgt. Überraschungsreich zeigen sich auch das an Schostakowitschs Expressivität gemahnende Lento oder der unvermittelte Tango-Einschub in das Agitato. In ohrenvertraute Gefilde führt nach der Pause Johannes Brahms'' Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73, deren pastorale Stimmungen schnörkellos und ausgewogen ausgebreitet werden. Auffallend dabei die „singende" Cellogruppe, die für die Empfindungen von Seelenerbaulichkeit (im Adagio) einen erheblichen Anteil hat. Graziös breitet sich das Allegretto gleich einer lieblichen und tanzesfrohen Szene am Seeufer aus. Doch es geht auch, und nicht nur im Finale, energisch und entschlossen zu. Der bravourösen Leistung folgt wohlverdienter Beifall.
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