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Kultur: Twittern im Innenhof

Horst Evers „Großer Bahnhof“ im Waschhaus

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Horst Evers’ Auftritte haben mittlerweile den Charakter eines Großevents: Bis auf den letzten Platz war das Waschhaus bereits seit Wochen ausverkauft, über 600 Besucher erwarteten den Auftritt des Mannes mit dem roten Hemd als Markenzeichen. Der niedersächsische Wahlberliner hatte sein neues Programm „Großer Bahnhof“ im Gepäck, um Zugverkehr ging es dabei jedoch nur ganz am Rande.

Es ist nicht immer leicht herauszufinden, was Horst Evers so gnadenlos unterhaltsam macht. Evers ist anders als herkömmliche Stand-Up-Comedians, welche einfach nur ihr Programm herunterrasseln. Wahrscheinlich ist es auch nur seine Authentizität: Er verkörpert nicht nur einen Charakter, sondern ist er selbst. Horst Evers redet gern und viel, und durch seine eigenartige Rhetorik mit kurzen assoziativen Sätzen und intelligenten Kunstpausen wirkt er einfach nur überzeugend. Die Pointe lauert meist im Kontext, das Unausgesprochene rückt in den Fokus. Evers’ Texte und Erzählungen spielen mit dem Eintreten des Erwarteten im Angesicht des Unerwarteten.

Diese seltsame Fokussierung macht schließlich den Witz aus, Evers hält an Gedanken fest, inszeniert eine Aufwärtsspirale: etwa wenn er von seinem Nachbarn erzählt, welcher jetzt auch twittert, dafür aber kein Internet braucht. Er brüllt seine Kurzmitteilungen einfach in den Innenhof, sozusagen ein analoges Twittern mit einer Innenhof-Flatrate. Doch das haben beide, Internet und Innenhof, letztlich gemeinsam: Sie vergessen niemals.

Und so macht es nur Spaß, Horst Evers zuzuhören. Er ist einfach nur ein Mensch und hat es gar nicht nötig, sich zu einem Helden zu stilisieren, ganz im Gegenteil: Er negiert sämtliche Aktivitäten, lässt keine Fettnäpfchen aus und inszeniert sich selbst am liebsten als den geborenen Verlierer – besonders wenn er von „Lose-Lose-Situationen“ spricht. Er hat die Lacher schon auf seiner Seite, wenn er den Satz mit „Also ich sag mal “ beginnt. Und er predigt den Katechismus der Antriebslosigkeit: Niemand kann so schön bildhaft die Vorzüge von Faulheit darstellen.

Das Publikum dankte es ihm mit herzhaftem Lachen und tobendem Applaus. Derartig kurzweilige Abende scheinen selten geworden zu sein. Oliver Dietrich

Oliver Dietrich

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