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Kultur: Tyrannenmord

Schönbohms Erinnern an Stauffenberg und 20. Juli “44

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Wie die politischen Fragen nach dem „deutschen Widerstand“ gegen Hitler untrennbar mit dem 20. Juli 1944 verbunden sind, so die „humanistischen“ mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Anlässlich seines gestrigen 100. Geburtstages veranstalteten das Militärgeschichtliche Forschungsamt Potsdam und die Konrad-Adenauer-Stiftung am Dienstag eine dreistündige Veranstaltung im Filmmuseum, um die Rezeption dieses Mannes „in Ost und West“ zu beleuchten.

Als Gäste waren der Historiker Hans Bentzin, von 1961 bis 1965 DDR-Kulturminister sowie Buchautor und Produzent eines Dokumentarfilms (1989) über das Attentat auf Hitler sowie Jo Baier, dessen Spielfilm-Variante (2004) jüngst im ORB gezeigt wurde, eingeladen. Innenminister Jörg Schönbohm führte mit einem Vortrag in dieses Thema ein. Als Soldat konnte er den Zwiespalt zwischen militärischer Eidespflicht und staatsbürgerlichen Raison vielleicht am besten nachvollziehen. Er tat es als Politiker und Staatsbürger: Vom „Aufstand des Gewissens“ war die Rede, und dass man „Schuld auf sich nehmen“ müsse, „um Recht und Gerechtigkeit wiederzugewinnen“, was er mit Brechts Satz „Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht“ begründete. Den „Aufstand von Chaoten“ heute schloss er dabei aus.

In der jetzigen Gesellschaft sieht er die (sehr unscharfen) Ideale jener Verschwörergruppe verwirklicht. Er glaubt das Stauffenbergsche Erbe sogar in Artikel 1 des Grundgesetzes „fortgeschrieben“, woran sein Satz „Unser Rechtsstaat hält genügend Möglichkeiten bereit, sich gegen Übergriffe zu schützen“ nichts ändert. Mit dem Römerbrief 13 aus dem Neuen Testament wollte er dem Argument vorbeugen, Tyrannenmord und Christsein wären unvereinbar, der „Glaube“ selbst habe Bonhoeffer und Stauffenberg „zum Widerstand gezwungen“. Seltsamer Glaube, bequemer Humanismus; dass ein Politiker und Christ den Tyrannenmord („sonst verraten wir sie nachträglich“) befürwortet, bleibt festzuhalten.

Kurze Ausschnitte aus den beiden Filmen folgten, dann ein Podiumsgespräch, von Oberst Winfried Heinemann geleitet. Während Schönbohm die „Operation Walküre“ letztlich in den Kontext eines Fanals an sich stellte, nannte Bentzin (ein wandelndes Lexikon in Sachen 20. Juli) dieselbe einen miserabel organisierten Staatsstreich, in dessen Folge es wesentlich mehr Tote gab als vorher: „Von der Zielstellung her eine Katastrophe – kein Kopf, keine konkrete Vorstellung von einem danach“, zumal alles schief lief, was nur schieflaufen konnte. Wer bei diesem „deutschen Attentat“ vergisst, den Generalstab auszuschalten und dem besetzten Staatssender nicht das Programm abdreht, sei kein professioneller Umstürzler. Nach dem Krieg wurde die Tat anfangs mit größter Distanz gesehen. Stauffenbergs Witwe etwa erhielt in den 50ern von der BRD weder Rente noch Schulgeld für die Kinder. Im Osten nannte man den Verschwörerkreis „Adelsclique, die nur ihre Haut retten wollte“. Später entstanden eine offizielle Forschungsgruppe und Bentzins Filme.

Heute hat der 20. Juli den Charakter einer Apotheose erreicht, der gute Wille zählt wie ein Sieg. Helden braucht dies Land – und glänzende Worte: „Zivilcourage gegen Diktatur und Gewalt“ bei Jörg Schönbohm, „Widerstand für Deutschland“ im Bilderbuch-Film von Jo Baier – man sollte nur immer wissen, wem man da widersteht.

Gerold Paul

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