Kultur: Über die Freundlichkeit
Regisseur Mike Leigh im Filmmuseum
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Er wirkte zunächst ganz anders als seine Protagonistin Poppy in „Happy-go-lucky“: Regisseur Mike Leigh lächelte nicht in den voll besetzten Zuschauerraum des Kinos im Filmmuseum, in dem zur Eröffnung seiner Werkschau „Happy-go-lucky“ gezeigt worden war. Die Zuschauer waren noch im Bann der Szenen mit der fröhlichen Poppy (Sally Hawkins), die ihre Offenheit selbst dann verteidigt, wenn es für sie gefährlich wird. Wenn sie z.B. zu dem sie begehrenden, aber missmutigen, rassistischen, engstirnigen Fahrlehrer Scott mit den schlechten Zähnen ins Auto steigt, der sie beschimpft und bedroht. In der folgenden Szene empfiehlt die wohlmeinende Freundin, Poppy solle ihre Freundlichkeit aufgeben. Doch Poppy lehnt ab, sie besteht auf ihrer fast provozierenden positiven Art.
Mit seinen kurzen grauen Haaren, den genau beobachtenden Augen und den sehr bestimmten Antworten wirkte Mike Leigh ihr gegenüber ein wenig streng. Und doch hat er mit Poppy eine Figur geschaffen, deren Lebenssinn im Optimismus, Humor und einer stets positiven Einstellung besteht. Leigh beantwortete die erste Frage Knut Elstermanns präzise, und das war auch schon eine Auskunft darüber, wie er arbeitet. Denn die Vorgehensweise des 1943 in der Nähe von Manchester geborenen Vertreters des „New British Cinema“ ist anders als die der meisten Kollegen: Sechs Monate vor Drehbeginn entwickelt er gemeinsam mit seinen Darstellern, ohne eine Idee der Geschichte im Kopf zu haben, die Figuren. „Wir arbeiten so lange an den Charakteren, bis sie wirklich leben“, sagte er. „Ich frage mich auch manchmal, wie es den Charakteren meiner Filme jetzt geht, was sie fühlen und denken.“ Erst wenn eine Person mit eigener Biografie, Hobbys, Vorlieben und Abneigungen entstanden ist, entwirft das Team die Geschichte.
Allerdings habe Leigh, so sagte er im lebhaften Publikumsgespräch, eine genaue Vorstellung der Stimmung, die es im jeweiligen Film geben solle, im Kopf. „Eitle und dumme Schauspieler engagiere ich nicht“, antwortete er auf die Feststellung, dass die Charaktere nicht immer vorteilhaft in die Kamera schauen. Es gehe schließlich nicht um die Selbstdarstellung der hervorragenden Schauspieler, sondern um die realistische Inszenierung eines lebendigen Charakters. Er wolle aber lieber über den Film als über die Produktionsweise reden, wiederholte der Cannes-, Berlinale- und Venedig-Preisträger mehrmals. Dass es sich um ein Kunstwerk handele, das eben ohne zuvor vorhandenes Drehbuch zustande käme, sei offensichtlich, und dass seine Intuition eine große Rolle spielt, war deutlich zu spüren.
Mit dieser nämlich nahm er manche Fragen gnädig und freundlich auf, andere wiederum bügelte er unwirsch ab. Gerne zog er Vergleiche zwischen Figuren seiner Filme, so zwischen Poppy und Jonny aus „Naked“, die beide Idealisten seien – Jonny allerdings in der frustrierten, verbitterten Version. Vehement wehrte er sich gegen den in Paris oft gezogenen Vergleich der Poppy mit „Amélie“. Und es stimmt: Die harmlos-verträumte Amélie hat mit der trotz allen Optimismus'' realistischen Poppy wenig gemein. Begeistert sprach er über seine Schauspieler, vor allem über Sally Hawkins, mit der man eben gerne zusammen sei. Mürrisch wischte er mögliche Kritik an der Figur der Poppy vom Tisch: nein, naiv sei sie gar nicht, sondern ein besonders erwachsener Mensch. Wer ihren Humor und ihre Offenheit nicht akzeptieren könne, habe vielleicht selbst ein Problem.
Doch seine Strenge wurde durch die liebreizende Dolmetscherin Anja Rüger gemildert. Und das Publikum hatte den Regisseur erlebt, wie er wohl auch mit seinen Darstellern arbeitet: sehr präzise, auf ein klares Ergebnis zielend, hart, aber am Ende dann plötzlich lächelnd und zugewandt, offen. Fast wie Poppy.
Lore Bardens
Lore Bardens
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