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Kultur: Über Zickenkrieg der Diven und entmannte Männer

Eine musikalisch-literarische Reise zu den „Bühnen des Rokoko“ im Schlosstheater

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Eine musikalisch-literarische Reise zu den „Bühnen des Rokoko“ im Schlosstheater Die distinguierten älteren Damen sind not amused. Jungs in Schlabberjeans, Mädels im freizügigen Outfit, Wasserflaschen und Handys im Gepäck (was sie, maulend zwar, vorher an der Garderobe abgeben müssen), tummeln sich wenig ehrerbietig im Schlosstheater im Neuen Palais. Shocking, wie kann man nur so die heiligen Hallen des friderizianischen Musentempels entweihen. Ungefähr zwanzig Gymnasiasten aus Werder/Havel wollen „Die Bühnen des Rokoko“ kennen lernen, auf denen sich Stars und Primadonnen tummeln. Für diese literarisch-musikalische Reise an europäische Höfe des 18. Jahrhunderts, wie sie von der entdeckungsfreudigen jungen Truppe „I Confidenti“ im Rahmen ihres Rokoko-Opernfestes offeriert wird, haben sie sich unter Anleitung ihrer Musiklehrerin vorbereitet. Eine Art von angewandtem Musikunterricht ist“s, der ihre Defizite in Sachen Kunstform Oper abbauen soll. Was ist Realität, was Bühnenspiel? Ist der über den Orchestergraben hinweg geworfene Handkuss der Primadonna an den Zuschauer ernst gemeint oder nicht? Wie hilflos einige im Umgang mit diesen Dingen sind, zeigen ihre ungeheuchelten Reaktionen. Sie kichern miteinander, fläzen in den Sitzbänken, wenn ihnen das Gesehene und Gehörte zu langweilig erscheint, kommentieren das Geschehen Manche mag das in ihrer heiligen Andacht stören – zu Störern werden die Novizen im Reich der Musen deshalb noch lange nicht. Die meisten schenken dem Gebotenen die gebotene Beachtung, auch wenn Barockmusik nicht gerade zu ihren Hörhits gehören dürfte. Zuerst wissen sie mit der künstlich überhöhten Sprachdiktion eines Vorlesers (Klaus Büstrin) kaum etwas anzufangen, der ihnen zuhörende Konzentration abverlangt. Nachdem sie sich an dessen heiteren Leseton, locker vom Blatt weg, gewöhnt haben, scheinen sie ganz bei der Sache zu sein. Ob sie jedoch über das Hintergrundwissen verfügen, wenn ihnen Benedetto Marcellos ironische Anmerkungen über „Die Oper nach der neuesten Mode“, nahe gebracht werden? Es darf bezweifelt werden. Auch Charles Burneys Bericht von seinem Potsdam-Besuch anno 1772 nebst Begegnungen mit der Primadonna Schmeling oder Franzpeter Meßmers „Farinelli“-Biografie mit hintergründigen Anmerkungen zur „Herstellung“ von Kastraten dürfte ihnen wie Bücher mit sieben Siegeln vorgekommen sein. Erstaunlich jedoch, dass sie dem gesprochenen Wort aufmerksamer zuhören als der passend dazu ausgewählten Musik. Die liegt bei dem Rokoko-Kammerorchester unter Leitung von Alexander Weimann in stilversierten Händen. Feinnervig begleitet es den Solisten Christoph Huntgeburth bei Franz Bendas Konzert für Traversflöte und Streicher, der mit geschmeidigem Klang, langem Atem, filigraner Dynamik und gefühlvollem Ausdruck des anspruchsvoll-spröden Werks beeindruckt. Er begleitet die Sopranistin Christine Wolff bei einer leichtstimmig, kokett und koloraturenflink vorgetragenen Hasse-Arie. Empfindungsvoll und mit schöner Legatolinie singt Altus Alexander Schneider von Liebesentsagung. Beide zusammen illustrieren per Duett den zuvor vorgelesen Zickenkrieg der Diven gar köstlich. Handgreiflich werden sie dabei nicht, suchen sich stattdessen „nur“ stimmlich zu übertrumpfen. Das kommt an. Peter Buske

Peter Buske

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