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Junge Choreografen aus China in der fabrik: Nunu und Tian Zhiming.

© Jäger

Kultur: Überlebensfähig wie Kakerlaken

„China Moves“ zeigt am Wochenende in der fabrik junge Tanzkunst aus Fernost

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Eingezäunt von einer Joghurt-„Mauer“ krabbelt munter eine ganze Kolonie von Käfern auf der Bühne. Per Videokamera wird das kleine Kakerlaken-„Gefängnis“ auf die große Leinwand projiziert. Vor dem quirligen Hintergrund des nimmersatten Getiers tanzen junge Künstler aus China. Ihr Choreograf ist Tian Zhiming, einer der Gäste von „China Moves“, das Freitag und Samstag in der fabrik auf eine Reise in das fernöstliche Land einlädt.

Tian Zhiming kommt gerade aus Oslo. Auch in Barcelona und Amsterdam gastierte er zuvor: „Ich glaube, dass die Zuschauer meine Performance mochten. Aber wir haben nicht viel Feedback bekommen“, sagt er bescheiden. In Potsdam soll das anders werden: Dort gibt es zu den Aufführungen ein Rahmenprogramm mit Einführungsvortrag über die künstlerische Freiheit in China, Künstlergesprächen und dem Film „Still live“ im Filmmuseum, der über die menschliche Dimension des Baus eines Staudamms berichtet, bei dem Millionen Menschen ihre Dörfer und Städte verlassen müssen und dabei Hab und Gut verlieren.

Für junge, zeitgenössische Tänzer ist es nicht leicht, sich in China über Wasser zu halten, erzählt Tian, der über zahlreiche Workshops den Tanz für sich entdeckte. Er hatte das Glück, zwei Choreografien an der durch ausländisches Geld finanzierten „ccd.workstation“ in einem staubigen Vorort von Peking kreieren zu können. Staatliche Förderungen gibt es nicht und für eigene freie Aufführungen darf kein Eintrittsgeld genommen werden. So arbeitet Tian inzwischen zweigleisig. Der Elektroingenieur ist wieder in seinen Beruf zurück gekehrt, unterrichtet jetzt an einer Universität im Süden Chinas Elektronik. Ebenso wie seine Frau, die an einer Theaterschule studierte und jetzt selbst doziert. Ihr durch ein Netzwork organisiertes Gastspiel in Europa bestreiten die beiden während des Urlaubs.

Tian hat sich mit seiner Situation arrangiert, er möchte trotz kulturpolitischer Restriktionen in seiner Heimat bleiben. Die Kakerlaken seien für ihn Symbol für die Menschen in China. „Sie sind sehr überlebensfähig und es gibt sehr viele von ihnen. Außerdem bilden sie gern Gruppen.“ Das kollektive Denken wurde ihm schon als Schulkind „eingeimpft“. „Es gab für uns alle ein großes Vorbild, dem wir nacheifern sollten. Und wenn es in Klassenarbeiten hieß: ,Schreib Deine eigene Meinung’, war das nichts als eine Farce. Richtig war nur die eine, vorgegebene Meinung.“

Vieles, was Tian erzählt, lässt an die DDR erinnern. Er betont aber auch, dass sich allmählich einiges verbessere. „Durch das Internet erweitert sich die Welt für uns, auch wenn alles durch einen Filter geht und viele Seiten gesperrt sind.“ Die meisten Künstler wollen wie Tian in ihrem Land bleiben, freuen sich aber über jede Gelegenheit, im Ausland zu gastieren. Auch Nunu. Sie ist eine der wenigen Ausnahmen, die allein vom zeitgenössischen Tanz lebt. Und sie brachte es als erste Tänzerin in China fertig, eine staatliche Förderung zu bekommen: für ihre Reise zum Festival „Impuls Tanz“ nach Wien. Allerdings mahlten die Mühlen der Bürokratie so langsam, dass die Bewilligung erst sechs Monate nach der Reise erfolgte. „Bevor ich meinen Antrag schrieb, kaufte ich mir einige Zeitungen und lernte die offizielle Sprache, um die Bitte richtig formulieren zu können.“ Obwohl ihr alle Freunde abrieten, überhaupt einen Antrag zu stellen, bekam „die Bürgerin Nunu“ am Ende tatsächlich 2000 Euro. Sie hatte zudem das Glück, die bislang bestmögliche Ausbildung in ihrem Land zu bekommen: mit Tanzlehrern aus aller Welt. Finanziert vom Ausland.

Nunu hat das Kollektiv Niao mitbegründet, das am Samstag in der fabrik zu sehen ist. Inzwischen arbeitet sie aber in einer anderen Gruppe mit wechselnden Künstlern verschiedener Sparten. „Es sind nur wenige freidenkende Tänzer zu finden. Die meisten haben die gleiche traditionelle Ausbildung.“ Deshalb nehme sie sich viel Zeit für ihre Projekte. Allein von ihrer Companie könnte Nunu nicht leben. Sie übernimmt kommerzielle Jobs, choreografiert große Firmenfeiern, präsentiert Galerieeröffnungen und arbeitet im Ausland. In Potsdam zeigt sie ein Duett mit zwei Frauen. „Sie beschreiben mit ihren Körpern eine Zeit, in der es noch keine verbale Sprache gibt.“ „Question Mama“ benutze einen Titel, der dem Publikum Rätsel aufgebe, denn das Stück habe nichts mit der Mutter zu tun, sondern nur mit dem ersten Laut, den Kinder von sich geben: „Ma“. Neben der körperlichen Anstrengung, die sich auch in der Heftigkeit des Atems äußern wird, gibt es eindrückliche Bilder: Ein Reisschauer fällt wie eine Dusche auf die Rücken der Frauen herab. Was sich hinter dieser Metapher verbirgt? Das wird sicher der Abend aus den Körnern herausschälen. Heidi Jäger

Freitag 18 Uhr: Vortrag über Kunst in China, ab 20 Uhr stellen sich junge Choreografen vor. Sa 20 Uhr und So 16 Uhr zeigt das Kollektiv Niao „The left cheek“. Zudem läuft im Filmmuseum „Still live“.

Heidi JägerD

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