Kultur: Überraschungsreiche Entdeckungen
Erfolg für Näthers Flötennovität beim 5. Sinfoniekonzert im Nikolaisaal
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Potsdams Musikgeschichte ohne königliche Flöte: undenkbar. Friedrich II. sowie sein Flötenlehrer und Hofkompositeur Johann Joachim Quantz haben das Ihrige zu diesbezüglichem Ruhme beigetragen. Dann herrschte für Jahrhunderte Flaute auf der Flauto traverso. Bis der Potsdamer Gisbert Näther mit seinem Opus 125 sich der flöteblasenden Historie erinnerte und der höchst versierten Claudia Stein, Soloflötistin der Staatskapelle Berlin, ein Flötenkonzert sozusagen auf den Leib und die spannungsreichen Lippen schrieb. Mit technischer Bravour und enormer Ausdrucksintensität brachte sie es mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt unter der gesteneleganten Leitung von Karl-Heinz Steffens am Sonnabend beim 5. Sinfoniekonzert im Nikolaisaal zur beifallsfreudig aufgenommenen Uraufführung. Tags zuvor wurde die Novität durch alle Beteiligten bereits in Frankfurt nicht weniger erfolgreich aus der Taufe gehoben.
Das Werk erweist sich als zartgliedriges, durchkomponiertes, siebenteiliges Klanggebilde voller angenehmer Überraschungen. Flirrend sein Adagio-Beginn: ein schwebungsreiches Umspielen des Tones g, aus dem sich das melodiöse Thema entwickelt. Durch Harfe, Glockenspiel, Vibraphon und Geigenglissandi entstehen vielfarbig schillernde, impressionistisch geprägte Klangflächen. Auf denen kann sich der leuchtende, klare und saubere, kantabel singende bis leidenschaftlich erregte Ton des Soloinstruments gleich dem Debussyschen Faun lustvoll räkeln. Dunkle Farben drängen ins Helle, der Klangraum weitet sich entsprechend. Dann entwickelt sich, angekündigt durch das Horn, ein virtuoses Vivace-Treiben.
Solchen Kontrasten frönt das 25-minütige Werk allenthalben, so dass niemals die Spur von Langeweile aufkommen kann. Faunisch und lasziv gibt sich das Andante. In der Kadenz kann Claudia Stein all ihre technischen Verführungskünste noch einmal gebündelt vorzeigen: Trillerketten, Flatterzunge, Flageoletts, die Bewältigung von siebenachteltaktigen Verhakelungen, Klappengeräusche, schier atemendlose Legatolinien Ein erneutes Vivace entpuppt sich als eine Groteske mit Pferdegetrappel, dem ein kurzer Adagio-Ruhepunkt folgt, ehe ein Vivacissimo dem ohrenfreundlichen und dennoch modernen Konzert quasi seine Schlusspointe setzt.
Als klanggeschmeidige und hingebungsvolle Mitgestalter erweisen sich die Musiker, was sie auch im Quantzschen G-Dur-Konzert Nr. 161 für Flöte, Streicher und Basso continuo eindrucksvoll belegen. Beschwingt, federnd und elegant sind sie bei der Sache. Als ein großes Amoroso singbläst Claudia Stein mit viel dolce den langsamen Satz. Herrlich. Die Kadenzen zu den ersten beiden Sätzen stammen aus stilaparter Nätherscher Feder, die sich eng ans Quantzsche Vorbild hält.
Zur brandenburgisch-preußischen Musikgeschichte gehören aber auch Giacomo Meyerbeer und Felix Mendelssohn Bartholdy, die beide 1842 von Wilhelm IV. zu Preußischen Generalmusikdirektoren ernannt worden waren. Sowohl in der eingangs erklingenden, ein wenig zu bombastisch musizierten „Hugenotten“-Ouvertüre von Meyerbeer als auch in der Mendelssohnschen „Reformationssinfonie“ spielt der Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ eine wichtige, glaubensfestigende Rolle. Mit allem Ernst, die dieses geistlich-sinfonische Bekenntnis mit dem zusätzlichen Zitat des „Dresdner Amens“ (bekannt als Wagnersches Gralsmotiv) erfordert, wird es musiziert.
Der Dirigent achtet auf ein sehr transparentes Klangbild, durch das Geheimnisvolles und Raunendes genauso überschaubar bleibt wie Opulentes, das per Allegro maestoso in die gelöste Erhabenheit mündet. Ihr bleibt der Beifall nicht fern.
Peter Buske
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