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Kultur: Überrumpelnde Rhetorik

Sinfoniekonzert der Kammerakademie Potsdam im Nikolaisaal

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Er sei geboren, um „für große und starck besetzte Orchester von sehr geschickten Spielern zu schreiben“, bemerkt der englische Musikreisende Charles Burney über den Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel. Durch überraschende Kontraste stark wechselnde Gefühle darzustellen, sind seine Sache – vor allem in den Sinfonien der Werkgruppe Wq 183 aus der Hamburger Zeit. Die Nummer 1, in leidenschaftlichem D-Dur stehend, hebt mit synkopischen Tonrepetitionen an, die Haydn zur Ehre gereichen würden.

Des Werkes geradezu überrumpelnde Rhetorik bringt die Kammerakademie Potsdam beim 4. Sinfoniekonzert im Nikolaisaal zu überwältigender Wirkung, angestachelt vom Italo-Experten für Alte Musik, Andrea Marcon. Man hört“s vom ersten Takt an, wie der Maestro aus der Partitur die affektbetonten Funken effektvoll zu schlagen versteht.

Kontrastbetont, geradezu zerrissen erinnert das einleitende Allegro di molto in seiner ausdrucksstarken Intensität an den Furientanz aus Glucks „Orpheus e Euridice“. Das Orchester hat sich in deutscher Anordnung platziert, bei der die ersten den zweiten Geigen gegenüber sitzen. Für die Klangwirkungen ist“s ein nicht zu unterschätzender Effekt. Es geht vibratolos zu, was zu einem geschärften Duktus führt. Man bevorzugt extreme Dynamik, die dem gesamten Abend eine Spannung bis zum Bersten erzeugt. In die akzentbetonten, rasant genommenen Ecksätze schieben sich immer wieder lyrische „Atempausen“ gleich einem ständigen Werden und Wachsen, Explodieren und Kräftesammeln. Der Abenteuerlust sind keine Grenzen gesetzt.

Derlei Erkundungen setzen sich bei Joseph Haydns Konzert für Violoncello und Orchester C-Dur Hob. VIIb:1 fort, das in den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts während Haydns Tätigkeit in der Esterhazyschen Kapelle entstanden ist, aber erst zweihundert Jahre später (1961) in einer böhmischen Bibliothek wiederentdeckt wurde.

In diesem cellistischen Erstlingswerk muss der Solist fast durchweg in unbequem hoher, gleichsam tenoraler Lage spielen. Für Steven Isserlis kein Problem. Gleich einem jugendlich-heidischen Minnesänger kostet er das ornamental reich verzierte, mitunter an friderizianische Rocaillen erinnernde Werk genüsslich aus. Dass er in ihm total aufgeht, zeigt sein spontanes Mitspielen des cellistischen Tuttiparts, wenn es solistische Pausen einzulegen gilt. Rokokoleicht, aber nicht unverbindlich tändelnd breitet er auf dem süß singenden und warm klingenden Stradivari-Instrument von 1730 Haydns Schönheiten aus. In seiner zupackenden Art, hierbei vom Orchester passend unterstützt, ist Isserlis wahrlich kein Legatoläufer, sondern eher ein Ausdrucksathlet. Er liebt den hellen, entschlackten, nervös gespannten Ton, mit dem er den Mix aus improvisatorischen Einfällen und pointiertem Wechselspiel hinreißend meistert. Äußerlich gibt er sich nonchalant, während er bei der Notendeuterei sehr akribisch zu Werke geht. Auch das impulsgebende und anpassungsfähig begleitende Orchester klatscht wie das begeisterte Publikum dem Solisten seine Anerkennung zu.

Mehr aufs Zerklüftete, denn auf eine gefällige Linie ist die Wiedergabe von Wolfgang Amadeus Mozarts A-Dur-Sinfonie KV 201 ausgerichtet. Und so wird statt Mozart-Kugel sozusagen Chili con carne serviert. Auch hier stürzen sich die wagemutigen Kammerakademisten in eine die Sinne schier überwältigende Spiellust. Keine Phrase, die nicht durchdacht wäre, keine Pause, der keine Bedeutung zukäme; keine thematische Entwicklung, deren Sinn sich einem nicht erschlösse. Sie meistern das zarteste Pianissimo, stürzen sich mit Brachialgewalt in die Abenteuer der Leidenschaft. Ein Fingerzeig für das nahende Mozart-Jahr, dem auch die Kammerakademie ihre weitere Reverenz erweisen wird. Der Auftakt dazu, lautstark bejubelt, ist vielverheißend.

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