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Kultur: Überschwängliche Gefühle

Tschechische Hirtenmesse in der Friedrichskirche

Stand:

Ob bei Glühwein, Holzkunst oder heißer Met – auf dem Babelsberger Weberplatz hörte man viele tschechische Stimmen. Stand neben Stand, auch eine lebensgroße Krippenszene war anlässlich des Böhmischen Weihnachtsmarktes am Wochenende um einen Eichenstamm herumgebaut. Der beredte Brotverkäufer kam freilich nur aus Sachsen, aber das liegt ja auch schon im Süden. Tschechisch ging es auch in der ehrwürdigen Friedrichskirche zu. Wie schon im vorigen Jahr, so brachte ein von Prag her angereistes Ensemble aus Solisten, Instrumentalisten sowie der Kammerchor Canticorum Iubilo auch an diesem ersten Advent Jan Jakub Rybas „Tschechische Hirtenmesse“ aus dem 18. Jahrhundert zu Gehör. Sie hat dort ungefähr den Stellenwert wie das „Weihnachtsoratorium“ in hiesigen Breiten. Vielleicht ist es sogar noch „volkstümlicher“, denn dieses Werk ist für jedermann kantabel, die Melodien sind eingängig, man singt sie, gleich deutschem Liedgut, unterm Tannenbaum und eben in der Kirche.

Der Name „Hirtenmesse“ bezieht sich auf die lokal kolorierte Version der Weihnachtsgeschichte, wie sie, akustisch schlecht verstehbar, vorab auf Deutsch mitgeteilt wurde: Zwei Hirten (Tenor, Bass) wird eine Botschaft zuteil, sie rufen ihre Mitgesellen wach, „wollen wissen, was los ist“. Gaben für das Christkind werden bereitet, man zieht nach Bethlehem, betet dort das Gotteskind an und kehrt, mit Seinem Segen, in die Heimat zurück.

Als „Symbol des tschechischen Weih- nachtsfestes“ angekündigt, kam dieses Werk des Vielschreibers Ryba (über 1400 Werke) durch seine ganz erstaunliche Sentimentalität dem allgemeinen Bedürfnis „nach Weihnachten“ offenbar sehr entgegen. In der Originalsprache gesungen, applaudierte das Publikum dieser „Messe“ zwischen den einzelnen Teilen herzlich, besonders, als bekannte Lieder wie „Freu dich, Erd und Sternenzelt“ wiederzuerkennen waren. Bis in die Emporen hinauf war die Kirche besetzt. Allerdings gab es kein Programmheft, selbst die vier Stimmlagen waren namentlich nicht ausgewiesen, was schade war, denn vor allem sie verstanden es, der Notierung im dialogischen Gesang viel Glaubhaft-Schönes abzugewinnen. Der Dirigent Jiri Kubik führte das Kammerorchester „Quattro Corde“ eher zurückhaltend durch das barocke Geflecht von Tönen und Gefühlen. Hervorragend die federleichte Flöte, welche den bukolischen Charakter dieses Musikstückes genauso unterstrich wie die dezente Orgelbegleitung. Aber so wenig es einer echten Messe glich, so ungewiss scheint auch Rybas Überlegung heute, alles ganz schlicht und sentimental zu gestalten, als sei der Hirt in Böhmen die Einfalt selbst. Das Werk ist ja in der „Schwulstzeit“ geschrieben, Fragen an die Aufführungspraxis also. Für den mehr als 20-köpfigen Chor, der wirklich sein Bestes gab, waren die einzelnen Teile keine Herausforderung, sowohl das schlichte Lied wie auch die zahlreichen respiratorischen Parts wurden mit Wärme und Ausdruck fast routiniert vorgetragen. Vielleicht kam dabei das Spirituelle etwas zu kurz. Da man ja Tschechisch nicht verstand, kann man dies konkreter leider nicht fassen.

Es lief wohl darauf hinaus, wann wessen Gusto getroffen wurde, der Beifall zwischendurch und danach – es gab stehende Ovationen – wies allen den Weg. Sentimentalität bis Ultimo, ein paar Töne Mozart dazwischen, einige Opernfiguren – so also stellte sich Jan Jakub Ryba das böhmische Hirtenleben vor. Gerold Paul

Gerold Paul

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