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Kultur: Überwältigend

Frank Martins „Golgotha“ in der Friedenskirche

Stand:

An ihre akustischen und räumlichen Grenzen gelangte die Friedenskirche Sanssouci bei der Aufführung des Oratoriums „Golgotha“ von Frank Martin durchaus. Mit dem Oratorienchor, fünf Solisten, Orgel, Klavier und großem Orchesteraufgebot des Brandenburgischen Staatsorchesters Frankfurt an der Oder war das musikalische Aufgebot denkbar groß. Auch Lautstärke und Länge der Musik bewegten sich in weiten Dimensionen. Doch die ausnehmend gelungene Einstudierung bewies den hohen Rang von Frank Martins Oratorium, das ohne äußeren Auftrag entstand und eines der bedeutendsten geistlichen Werke des 20. Jahrhunderts ist.

Der als zehntes Kind eines calvinistischen Pfarrers in Genf geborene Komponist kleidet die Passionsgeschichte – zweihundert Jahre nach Johann Sebastian Bach – in vehemente Klangekstasen voll düsterem Ernst. Melodien, die ins Herz gehen, fehlen. Martin bevorzugt rezitativische Deklamationen, die vom Orchester sehr farbig untermalt werden. Klavier, Orgel, Schlagwerk aller Art, große Bläserbesetzung von Piccoloflöte bis zu drei Posaunen sowie Kontrabässe, häufig Celli und die hohen Streicher setzen grelle und dunkle, stets kontrastreiche Akzente. Oft schreitet das Taktmaß in dieser feinen Interpretation unter der Leitung von Kirchenmusikdirektor Matthias Jacob bedrückend schwer voran.

Die musikalische Darstellung folgt dem Text bis ins Detail, Last und Qual, Zorn und Klage bilden die expressive Basis. So erklingen zu den zornigen Worten „ihr Schlangen, ihr Otterngezücht“ schnelle, dunkel bedrohliche Läufe im Fagott. Als Textgrundlage dienen sieben Szenen der Passionsgeschichte in den Worten der Evangelisten. Anfang, Mitte und Schluss bilden Passagen aus den „Confessiones“ (Bekenntnisse) von Kirchenvater Augustinus und andere Texte, wie die „Meditationes“ aus dem 11. Jahrhundert, deren andächtiger, reflektierender Charakter von der Musik subtil ausgedrückt wird. Schon im fünften Teil „Gethsemane“ war die Stimmung verhalten und intim gewesen, stellenweise wurde Jesu Rede nur von vereinzelten Klavierakkorden in den Sprechpausen begleitet. Der folgende, sechste Teil bildet mit der großen Klage und Frage „Was soll ich tun?“ quasi das innere Zentrum des Passionsoratoriums.

Der Ratlosigkeit des modernen Menschen – nicht verwunderlich angesichts der Entstehungszeit des Oratoriums unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg – , wird sofort mit der Gewissheit des festen Glaubens entgegnet. Die brillant und präzise gesungene Fuge in Nr. 6 verströmt eine Aura eindringlicher Ermahnungen, auch die anderen, ungemein diffizilen Chorpassagen werden vom Oratorienchor, der 2007 sein 50jähriges Jubiläum feiert, sehr gut gemeistert.

Auch die Solisten überzeugen, trotz mehrerer Umbesetzungen in letzter Minute, durchgehend. Der Bariton Hans Christoph Begemann besitzt eine wandelbare, modulationsreiche Stimme, die der abwechslungsreichen Partie des Jesus in allen Facetten gerecht wird. Die amerikanische Sopranistin Abbie Furmansky setzt dem Geschehen flirrende Glanzlichter auf. Glücklich fügt sich die von einem Tag auf den anderen eingesprungene Altistin Hanna Wollschläger ein, indem sie ihren von Holzbläsern begleiteten Klagegesang delikat verklärt. Als Erzähler wirken abwechselnd Tenor Tae Yin Cho und Bass James Creswell, ein Duo im Clarooscuro: das helle, klare Tenortimbre kontrastiert effektvoll mit den tiefdunklen Abgründen des Basses. Zusammen mit Chor und Instrumenten entstehen überwältigende, überraschende Klangbilder, die zu einem vibrierenden, aber keineswegs jubilierenden Finale finden. Eine überaus gelungene Aufführung. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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