Kultur: Überwältigende Klangkultur
Ensemble Vocalise begeisterte mit A-cappella-Gesang in der Erlöserkirche
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Perlen der A-cappella-Literatur standen auf dem „Vocalise“-Programm in der Erlöserkirche, das sich mit Themen Natur, Liebe, Schönheit und ihren wechselnden Beziehungen beschäftigte. Kurzum: es war eine breit gefächerte, stilbunte, entdeckungsfreudige Nummernfolge, die von Mitgliedern des Rias-Kammerchors (vereint zum „Ensemble Vocalise“) gesungen wurde. Ach was, „gesungen“: sie wurden zu schlichten, dann wieder über alle Maßen kunstvollen, fehlerfrei ziselierten, natürlich vorgetragenen Herzensergießungen gestaltet! Des Staunens ist darob kein Ende. Viel Unbekanntes ist darunter.
In der Stärke eines Doppelquartetts angetreten, wechseln ständig die Besetzungen und Aufstellungen. Zu Klingen beginnt es unter der stimmkundigen Zeichengebung von Ud Joffe vierstimmig – mit Claude Debussys bekenntnishaftem „Dieu qu“il la fait bon regarder!“ (Gott, wie schön hat er sie gemacht), in ihrem weichen und dunkel getönten Sound bestimmt von einer tiefen Frauenstimme. Vom bewusst ausgestellten Kontrast der hohen mit den tiefen Frauen- und Männerstimmen lebt der Vortrag von „Cade la sera“ (Der Abend senkt sich nieder) des Italieners Ildebrando Pizzetti (1880-1968) für sieben Stimmen. Sehr stimmungsvoll.
Spritzig, voller Reinheit und Klarheit verbreitet sich Maurice Ravels „Nicolette“, eine zynische Märchensatire auf unser bekanntes „Rotkäppchen“. Staunenswert intonationssicher ertönt „La blance neige“ (Der weiße Schnee) von Francis Poulenc (1899-1963). Sein nachfolgender Satz „A peine défigurée“ (Kaum verändert) wird von einem Bass (Jonathan de la Paz Zaens) bestimmt, dessen exzellente Tiefe nicht nur diesem Titel zum erforderlichen Klangfundament verhilft. Doch auch die anderen Chorsolisten verfügen über ein unverwechselbares Timbre, mit dem sich Stimmungen und Empfindungen vorzüglich charakterisieren lassen. Wie das Individuelle der einzelnen Stimme immer wieder ins vollmundig tönende Gemeinsame mündet, bei aller innigen Verschmelzung zu einem edlen Klang voller gestalterischer Intensität dennoch nicht seine Individualität aufgibt – das gehört zweifellos mit zum Markenzeichen des wandlungsreichen, lobzupreisenden Ensembles.
Edles Zusammenschwingen bestimmt den Vortrag des spätromantischen „Abendliedes“ von Josef Gabriel Rheinberger (1839-1901), staunenswerte Leichtigkeit die „Serenade“ von Sir Edward Elgar (1857-1934), die in ein wundersam schwebendes Pianissimo mündet. Geradezu atemberaubend die gesangstechnische Spannweite der Sängerinnen und Sängerin in „Hear my prayer, O Lord“ von Sven-David Sandström (geb. 1942) nach Henry Purcell, das flehentlich beginnt, kraftvoll sich aufschwingt, in kultiviert ausgeführte Schreie mündet und wieder in Stille endet.
Doch auch durch die feinsten Klanggespinste der deutschen Romantiker (Mendelssohn, Schubert, Schumann, Silcher) singen sich die außergewöhnlich klangschönen Stimmen mit nobler Geste. Selten hat man beispielsweise Schuberts „In einem kühlen Grunde“ so kristallklar und schlank gehört wie durch sie. Anmutig lustwandeln sie im „Garten des Serails“ von Wilhelm Stenhammar (1871-1927), fühlen sich auch in Swingendem und Synkopiertem hörbar wohl. Und in den Vokalisen über eine Sommernacht auf dem Wasser (Frederick Delius) erweisen sie dem Veranstalter ihre spezielle Reverenz. Der Beifall will nicht enden.
Peter Buske
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