
© Polnisches Fremdenverkehrsamt
Kultur: Überwältigender Stahlbeton
Mit einem Vortrag zur Jahrhunderthalle von Breslau beginnt die Urania eine Reihe zur Moderne im Osten
Stand:
Ihr erstes Jahrhundert hat die Jahrhunderthalle in Wroclaw (Breslau) hinter sich – Zeit für eine kleine Würdigung. Schließlich hat die 1913 vollendete Halle viele Architekturideen des 20. Jahrhunderts vorweggenommen – „und spiegelt zugleich die vor dem Ersten Weltkrieg geführte Debatte um eine Reformation von Kunst und Architektur“, sagte Jerzy Ilkosz vom Architekturmuseum Wroclaw. Er war am Dienstagabend in die Urania gekommen, um über den wohl imposantesten modernen Bau seiner eher für Gotik und Barock bekannten Heimatstadt zu sprechen.
An der Gotik hat sich auch der Architekt der Halle, Max Berg, orientiert. Für ihn war sie der letzte große Stil, sagt Ilkosz. „Das spiegelt sich vor allem im lichtdurchfluteten Innenraum der Halle, der förmlich zur Kontemplation einlädt.“ Das viele Licht hat der Bau seinem komplizierten, schichtartigen Kuppelaufbau zu verdanken, der mit mehreren Etagen von Fenstern durchsetzt ist. Die Kuppel war mit ihren 23 Metern Höhe und den 67 Metern Durchmesser damals die größte ihrer Zeit. Berg dachte überhaupt in großen Dimensionen: Mit dem kreisrunden Grundriss, der an den Seiten von quadratischen Anbauten durchbrochen wird, wollte er „die kosmologische Ordnung erfassen, die der gesamten Schöpfung zugrunde liegt“, sagte Ilkosz. „Der Goldene Schnitt war für Berg elementare Voraussetzung für die menschliche Kultur.“ Doch so theoretisch das alles klingen mag: Berg wollte die Harmonie nicht nur intellektuell, sondern auch psychisch erfahrbar machen.
Dass ihm das gelungen ist, zeigen die Fotos, die Ilkosz von der Jahrhunderthalle mitgebracht hat, viele aus der Zeit ihrer Eröffnung. Anlass für den Bau war die Jahrhundertausstellung zur Erinnerung an die preußischen Befreiungskriege gegen Napoleon I. Die Stadt Wroclaw wollte damit an den 100. Jahrestag des Aufrufs „An Mein Volk“ des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. erinnern. Damit – so die offizielle Interpretation der Wroclawer Stadtoberen, hatte der die Kriegswende eingeleitet. Zur Einweihung der Halle am 31. Mai 1913 ließ man das von Max Reinhardt inszenierte „Festspiel in deutschen Reimen“ aufführen, das Gerhart Hauptmann für diesen Anlass verfasst hatte. Die im Stück enthaltene Kriegskritik kam dann aber doch nicht so gut an: Nach Protesten von Kriegerverbänden wurde das Festspiel vorzeitig abgesetzt.
Ganz ungelegen kam der Stadt der Anlass nicht, sie brauchte dringend einen Ort für Ausstellungen und Versammlungen, der der modernen, gerade entstehenden Massenkultur gerecht wurde. Staatliche Fördergelder gab es nicht, die Stadt finanzierte den Bau alleine. Nach der Planungsphase wurden die Arbeiten innerhalb eines Jahres abgeschlossen – Ilkosz erinnerte daran, wie erstaunlich das tatsächlich ist: „wenn man bedenkt, dass für die Fensterbänder der Kuppel ein neues Verfahren entwickelt werden musste – und wie lange sich manche Bauprojekte heute hinziehen.“ Damit hatte Ilkosz die etwa 40 Architekturliebhaber, die in die Urania gekommen waren, völlig auf seiner Seite. Über nichts lacht es sich eben hier so gut wie über die Dauerbaustelle des BER.
Der rohe, unverputzte Beton ihrer Stahlbetonkonstruktion, der heute so typisch für die Gebäude der Moderne wirkt, war von Max Berg ursprünglich nur für den Außenbau geplant. Innen, so wünschte es sich der Architekt, sollten Malereien und Plastiken an die Wände – etwa vom österreichischen Expressionisten Oskar Kokoschka. Das wurde nur aus Kostengründen nichts. Bergs Kollege Erich Mendelsohn lobte allerdings genau diese Schlichtheit: „Frei von allen dekorativen Spielereien hat sie alle Eigenschaften, um zu überwältigen.“ Auch unter anderen Zeitgenossen galt die Jahrhunderthalle als Ikone einer neuen, sachlichen und zugleich monumentalen Architektursprache. Seit 2006 gehört das Gebäude zum Unesco Weltkulturerbe.
Mit dem Abend zur Jahrhunderthalle hat die Urania zusammen mit dem Deutschen Kulturforum eine dreiteilige Vortragsreihe zur Moderne in den Städten Osteuropas gestartet. Welche stilistischen Strömungen gab es, wie wurden Wohnformen reformiert, so die zentralen Fragen. Am 29. Oktober geht es weiter mit der monumentalen Terrassenanlage von Stettin, den Abschluss macht am 28. November ein Abend zur modernen Baukultur in Schlesien. Ariane Lemme
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: