Kultur: Überzeugend
Andrej Hermlin und sein Swing Dance Orchestra
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Welch ein Idyll, diese amerikanisch-russische Waffenbrüderschaft. Ein Traum nur, kurz geträumt im Jahr 1945. Und gleich musikalisch beschworen mit einem entsprechenden Lied, natürlich zweisprachig. Viola Mangik übernimmt den englischen und zum Teil auch den russischen Teil, Genadij Desjatnik beschränkt sich auf seine russische Muttersprache. Gemeinsam geben sie sich entschlossen im Gesang. Von den Dissonanzen, die es auf politischer Ebene im gemeinsamen Vorgehen gegen Hitlerdeutschland gab, ist hier nichts zu hören. Traute Einigkeit, während im Hintergrund das Swing Dance Orchestra die Marschrichtung vorgibt: Immer schön geradeaus.
Es war einer von vielen Momenten am Donnerstagabend im Nikolaisaal, wo mit feiner Ironie und entsprechendem Augenzwinkern musikalische Geschichte erzählt wurde. „Bei mir bist Du schoen – Jews in Jazz“ heißt das Programm von Andrej Hermlin und seinem Swing Dance Orchestra, das in Potsdam Premiere feierte. Originalarrangements berühmter und weniger berühmter jüdischer Komponisten aus den USA, der Sowjetunion und Deutschland der 20er bis 40er Jahre hat Hermlin für dieses Programm zusammengesucht. Kein einfaches Programm, wie er selbst sagte, und das manchem Veranstalter Kopfzerbrechen bereiten würde, weil das mitschwingende Politische vielleicht nicht die erwarteten Zuschauerzahlen garantiere. Zwar war der Nikolaisaal nicht ausverkauft, doch das begeisterte Publikum zeigte, wie sehr es Hermlins Entscheidung zu schätzen wusste.
Das lag vor allem am musikalischen Selbstbewusstsein des 20-köpfigen Orchesters, das über jeden Zweifel erhaben war. Ganz der Tradition verpflichtet, auch was die Kleidung betrifft, vom gegelten Scheitel bis zum Lackschuh, sind die Musiker den Swingorchestern der 20er Jahre verpflichtet. Keine Verstärkung für Instrumente wie Gitarre oder Bass, alles pur und unverfälscht. Die nicht selten vertrackten Arrangements von Komponisten wie George Gershwin, Irving Berlin, Werner Richard Heymann, Alexander Tsfasman und Leonid Utjossow wurde mit einer Leichtigkeit, Frische, Ausdruck und Spielfreude präsentiert, die das Swing Dance Orchestra zu einem Ausnahmeorchester machen. Dazwischen rief Hermlin eine illustre Schar von wechselnden Solisten auf die Bühne. Angefangen mit den Sängerinnen Bettina Hermlin und Viola Manigk, über die vier Sänger der Skylarks, den amerikanischen Swingklarinettisten Dan Levinson und den Sänger und Violinisten Genadij Desjatnik, bis hin zum smarten David Rose und dem akkuraten Henry de Winter in Begleitung seines Foxterriers Bobby. Das ging so Schlag auf Schlag, Bekanntes neben Unbekannten, mal deutsch, mal englisch und sehr oft auch russisch. Und es gab diese Momente, wenn der Zeitsprung funktioniert und man nicht mehr Kopien sondern Originale der 20er bis 40er Jahre hört.
Doch was dieses Konzert zu etwas Besonderem neben der so quicklebendigen Musik machte, war Hermlins Umgang mit dem politischen Hintergrund, der die Schicksale vieler jüdischer Komponisten prägte. Hermlin verzichtete auf große Erklärungen oder Betroffenheitsgesten. Er verschwieg die Schicksale nicht, erwähnte sie aber nur mit wenigen Worten. Was für ihn zählt, ist die Musik als Protest und Gegenbewegung. Und bei einem Musiker wie Andrej Hermlin und seinem Swing Dance Orchestra wird diese Musik noch immer zum überzeugendsten Argument. Dirk Becker
Dirk Becker
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