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Kultur: Überzeugende Natürlichkeit

Stefanie Schlesinger und Wolfgang Lackerschmid im Nikolaisaal

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Stefanie Schlesinger und Wolfgang Lackerschmid im Nikolaisaal Es sollen Tränen geflossen sein, damals, 1979, als Chet Baker und Wolfgang Lackerschmid eine noch namenlose Ballade aufnahmen. Bakers klarer, tieftrauriger Trompetenton ging einigen jungen Damen im Kontrollraum besonders zu Herzen. Als Baker dann, nach der Aufnahme, die verheulten Augen sah, bemerkte er nur „Why shouldn“t you cry“. Der Titel war gefunden, ein neuer Standard geboren. Stefanie Schlesinger hat „Why shouldn`t you cry“ in ihr aktuelles Programm aufgenommen. Was auch nahe liegt. Denn ihr Sideman ist besagter Wolfgang Lackerschmid. Doch wo im Original Bakers Trompete spricht, lässt Stefanie Schlesinger ihre Stimme erzählen. Und die Parallelen zu Baker, dieser klassischen Leidensfigur des Jazz, sind erstaunlich. Der klare, fast schon zerbrechliche Ton, die sanfte Melancholie, die 26-Jährige steht mit ihrer Interpretation den Vorgaben Bakers in nichts nach. Mit ihrem Programm „What love is“ waren Stefanie Schlesinger und Lackerschmid im Foyer des Nikolasaales zu Gast. Eine Duoformation, die sich dem Jazz verpflichtet, ist wahrlich nichts Außergewöhnliches. Die Verbindung von Gesang und Vibraphon gehört dann doch zu den exotischen Konstellationen. Es brauchte aber nur zwei, höchstens drei Lieder, um auch den letzten Skeptiker unter Zuschauern davon zu überzeugen, dass diese beiden wunderbar miteinander harmonieren können. Lackerschmid, der in den 70ern die europäische Jazzszene mit seinen Kompositionen beeinflusste und den mit Chet Baker eine gut zehnjährige Freundschaft verband, gab hier das Ein-Mann-Orchester. Virtuos-verspielt und zurückhaltend, wenn er Stefanie Schlesinger begleitet, aufgekratzt, mit den vier Klöppeln das Vibraphon traktierend und dabei nicht selten wie elektrisiert, einem Geißbock gleich, hinter seinem Instrument in die Luft springend. Stefanie Schlesinger als der Ruhepol, die sich oft ein Lachen ob der wilden Einlagen Lackerschmids nicht verkneifen konnte. Stefanie Schlesinger war an diesem Abend ganz Stimme. Ihre physische Präsenz auf der Bühne eher schüchtern, fast unscheinbar. Um so erstaunlicher ihr Gesang. Ob „Why shouldn“t you cry“, „My funny Valentine“ oder das brasilianische „Luz do sol“, sie bewies Gespür und Sensibilität für den Ton. Bei „Daily Rose“ und „Watch you sleepin", Kompositionen von Lackerschmid, ihr Gesang weich, mit zurückhaltender Strahlkraft. Und wo andere jeden Vokal mit aufdringlichem Vibrato durchflattern wie ein aufgeschrecktes Huhn, beließ es Stefanie Schlesinger bei gelegentlichen Andeutungen, kaum hörbar, dafür aber umso reizvoller. Das verrucht Erotische, mit dem manche Sängerinnen punken, bekam man von Stefanie Schlesinger nicht geboten. Man hätte es ihr, mit Verlaub, auch nicht abgekauft. Sie überzeugte mit Natürlichkeit und Zurückhaltung, die jedoch nie ohne Reize blieb. Ein Abend der Balladen, die hier von zwei Musikern interpretiert wurden, die wunderbar miteinander harmonierten. Das liegt wohl auch daran, dass die zwei nicht nur musikalische, sondern auch Ehepartner sind. Tränen flossen an diesem Abend mit Sicherheit nicht. Trotz der Dominanz des Moll. Aber zu Herzen wird Einiges von dem, was Stefanie Schlesinger und Wolfgang Lackerschmid spielten, gegangen sein. Dirk Becker

Dirk Becker

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