Kultur: Überzeugende Zweisamkeit Die Sängerin und Cellistin Jorane im Nikolaisaal
Mit dieser Frau ist schwer, Schritt zu halten, musikalisch und wohl auch sonst. Die Bühne im Nikolaisaal war am Freitagabend gut eingenebelt, als kurz nach 20 Uhr das Licht verlosch.
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Mit dieser Frau ist schwer, Schritt zu halten, musikalisch und wohl auch sonst. Die Bühne im Nikolaisaal war am Freitagabend gut eingenebelt, als kurz nach 20 Uhr das Licht verlosch. Gespannt wartete man auf eine besondere Einstimmung beim Konzert von Jorane. Vielleicht ein paar kleine Spielereien mit der Lichtanlage, vielleicht ein kleine, feine Melodie, kaum hörbar. Denn wo immer man auch etwas liest über die 31-jährige Sängerin und Cellistin Jorane, steht immer etwas von fernen Traumwelten, in die ihre Musik entführt.
Und während die erwartungsvolle Stille im gut besuchten Nikolaisaal nur vom Surren eines Ventilators auf der Bühne begleitet wurde, sprang auf einmal das Knallen von Absatzschuhen aus dem Nebel. Nicht still, schüchtern und verträumt trat Jorane auf. Zackig, forsch und selbstbewusst stieg sie auf das kleine Podest, lächelte kurz in das jubelnde Publikum und griff ihr Cello: Da bin ich und jetzt geht es los!
Joranes Auftritt in Potsdam zusammen mit dem Bassisten Miles Perkins und dem Schlagzeuger Stefan Schneider war der einzige in Deutschland. Und eine Premiere, wie sie später noch sagte. Nach längerer Babypause, die Jorane genutzt hatte, um neue Lieder zu schreiben, kehrte sie mit diesen nun auf die Bühne zurück. In den nächsten Wochen soll ihr aktuelles Album erscheinen. Wie sie am Freitag eindrucksvoll bewies, wird sie damit wohl noch ein paar Menschen mehr für sich begeistern können.
Jorane ist eine Ausnahmeerscheinung. Sie spielt Cello und singt dazu, was schon ungewöhnlich ist. Doch wie sie es macht, gerade das ist es, was an ihr so fasziniert. Sie nahm ihr Cello und es schien, als ob es gar nicht anders ginge, als dabei auch noch zu singen. Jorane und ihr Instrument verschmolzen miteinander und es gab Momente an diesem Abend, da war schwer zu unterscheiden, wer gerade sang, Jorane oder ihr Cello.
Es war die Kunst der Entführung, die Jorane in Potsdam praktizierte. Eine Entführung in ihre musikalische Welt, die nicht zwingend etwas mit Traumwelten zu tun haben muss. Zwar dominierten die ruhigen Lieder, mal englisch, mal französisch gesungen. Doch tobte es darin immer wieder äußerst quicklebendig, gaben sich Jorane und ihre beiden kongenialen Begleiter zwanglos dem Improvisieren im kleinen Rahmen hin.
Eigenwillig, so lässt sich die Musik Joranes wohl am besten beschreiben. Sie passt sich einfach nicht an, sucht in allen möglichen Stilen, was ihr gefällt und macht das zu ihren Liedern. Diese Eigenwilligkeit soll sie schon mit sechs Jahren besessen haben, als sie sich weigerte, die vorgegebenen Stücke einzustudieren, lieber spielte sie, was sie wollte und trieb damit ihren Klavierlehrer zur Verzweiflung. Sie wechselte zu Gitarre, auf der sie sich an diesem Abend bei zwei Liedern begleitete und entdeckte erst im Alter von 19 Jahren das Cello. Es muss für sie wie eine Offenbarung gewesen sein.
Jorane und ihr Cello an diesem Abend zu erleben, das kam nicht wenigen im Saal fast einer kleinen Offenbarung gleich. Denn immer wieder gab es diese eindringlichen Momente, wo die Einheit der Stimme Joranes und der des Cellos ganz besonders deutlich wurde. Und als es für zwei Lieder in regelrechter Hardrockmanier zur Sache ging, flog in der ersten Reihe ein Oberkörper derart vor und zurück, dass zu befürchten war, der junge Mann würde jeden Moment mit der Stirn auf den Bühnenrand schlagen. Doch Verletzte gab es zum Glück nicht. Nur ein begeistertes Publikum, das sich sofort mit stehendem Applaus bei Jorane bedankte.
Dirk Becker
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