Kultur: Um den Schlaf gebracht
Gastspiel am Hans Otto Theater gibt Einblicke ins Managerdasein
Stand:
Gastspiel am Hans Otto Theater gibt Einblicke ins Managerdasein Der eine tut“s im Stehen, der andere beim Fliegen, der Dritte stiehlt sich drei Türen weiter in ein leeres Büro: ein paar Minuten „Killerschlaf“, um schnell wieder fit zu sein für einen Sechzehnstunden-Arbeitstag. Sie schlafen nicht, die Key Account Manager, Online-Redakteure und IT-Supporter in den Consultingfirmen der Republik. In sterilen Büroetagen hoch über den Städten zerhacken sie die Wirklichkeit in Zeiteinheiten, optimieren, rationalisieren, reduzieren den Arbeitsaufwand in fremden Betrieben, während der eigene proportional in die Höhe steigt. Das Theaterstück „Wir schlafen nicht“, am Mittwoch als Gastspiel in der Reithalle A des Hans Otto Theaters aufgeführt, ist der gelungene Versuch, diesen Irrsinn auf der Bühne abzubilden. Die Inszenierung des Berliner Regisseurs Jörg Giese beruht auf einem Text der Schweizer Autorin Katharina Röggla, die sich in der neonlichtigen Welt der Beraterfirmen umgehört hat. Ihre verdichteten Interviews bilden die Grundlage des Szenariums. Der Bühnenraum ist ganz und gar weiß. In der trügerischen Reinheit dieser White-Box ziehen die sechs Akteure auf schwarzen Drehstühlen ihre unsichtbaren Linien, durchkreuzen die Wege des anderen und vollziehen seltsame Wendungen. Aus dem Hintergrund rauscht sphärische Musik mit Beats, die niemals den Herzrhythmus treffen. Am Anfang läuft noch alles glatt: Zurückgelehnt in Ledersesseln, die Beine übereinander geschlagen, gelingt ihnen mit kontrollierten Gesten und Dauerlächeln die perfekte Selbstdarstellung. Ein stilistischer Trick jedoch offenbart den hohen Grad der Entfremdung: Die Befragten reden in der dritten Person über sich selbst, als sprächen sie über jemand anderen. „Als sie erst einmal in der Logik drin gewesen sei, sei kein Verantwortlicher mehr auszumachen gewesen“, beschreibt eine Managerin den Zustand, in einem System angekommen zu sein, das die Folgen seiner Entscheidungen nicht verantworten muss. Eine Praktikantin ist es, die in hoffnungsfroh lindgrünem Outfit, ohne es zu wissen, die weiße Fläche zerschneidet. Auch sie spricht schon in der dritten Person über sich, zählt tapfer auf, was alles sie dafür getan hat, hier ein unbezahltes Praktikum zu bekommen, und was alles sie noch dafür tun würde, vielleicht ein bezahltes Praktikum zu bekommen oder irgendwann einmal eine feste Stelle. Die anderen mögen sie nicht, weil sie nicht „drin“ ist und ihnen unbewusst störende Botschaften von einem Leben „draußen“ übermittelt. Diese Praktikantin ist es auch, die ihnen die dunklen Schutzbrillen überhilft, hinter denen versteckt, sie sich dazu hinreißen lassen, von ihrem jämmerlichen oder nicht vorhandenen Privatleben zu berichten. Scheibchenweise kommt das ganze Dilemma zum Vorschein: Versagensängste, Konkurrenzdruck, Redezwang, das Gefühl, nicht aufhören, nicht abschalten zu können, physische Erschöpfung, schließlich der Zusammenbruch und die bange Frage, wann eigentlich das Herz aufgehört habe zu schlagen. Das Wissen um diese Zustände in einer sinnentrückten Arbeitswelt ist nicht neu. In der komprimierten, unmittelbaren Theaterform aber, in der das Publikum die Position des Interviewers, also auch des Zuhörenden einnimmt, zwingen die Aussagen der Betroffenen zur direkten Auseinandersetzung. Und genau das hat das Hans Otto Theater mit seiner neu ins Leben gerufenen Reihe zum Thema „Arbeit“ beabsichtigt. Antje Horn-Conrad
Antje Horn-Conrad
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: