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Kultur: Und die Väter weinen
Filmklassiker im Filmmuseum vorgestellt: Ang Lees Verfilmung „Der Eissturm“ aus dem Jahr 1997
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Vor allem Babelsberger Filmgeschichte wird im Filmmuseum gehegt und gepflegt. Das heißt, die vielfältigen Dokumente, Kostüme, Technik, Nachlässe werden gesammelt und dem Publikum präsentiert. Und natürlich kommen cineastische Kostbarkeiten zur Aufführung. In unserer Serie „Filmklassiker vorgestellt“, die gemeinsam mit dem Museum entstand, stellt Birgit Acar, Mitarbeiterin im Folmmuseum Potsdam, heute „Der Eissturm“ von Ang Lee vor, der in der Woche vom 28. Dezember an im Filmmuseum zur Aufführung kommt.
Der untypische Katastrophenfilm „Der Eissturm“ spielt im Jahr 1973. In einer kaum merklichen Rückblende erzählt er von den Tagen um Thanksgiving, dem Fest der Familie, in zwei dysfunktionalen Mittelklassefamilien der Kleinstadt New Canaan im Bundesstaat Connecticut und zeichnet ein präzises Stimmungsbild der 1970er Jahre in den USA. Krise und Verrat im von Vietnamkrieg und Watergate-Affäre geschüttelten Land sind bis in die Nachbarfamilien der Carvers und Hoods durchgesickert.
Ben Hood (Kevin Kline) hat eine frostige Affäre mit Janey Carver (Sigourney Weaver). Bezeichnenderweise sind es auch Ben und Janey, die ihre pubertierenden Kinder jeweils mit fadenscheinigen Argumenten zurechtweisen, als sie sie bei sexuellen Annäherungsversuchen ertappen - Wendy Hood (Christina Ricci) zunächst mit Mikey Carver (Elijah Wood) und dann mit Sandy Carver. Als Ben seinen Sohn Paul (Tobey Maguire) an anderer Stelle aus väterlichem Pflichtgefühl über die „Selbstbefleckung“ aufklären will, kommt er nur schwerlich zur Sache, um am Ende zurückzunehmen, dass er überhaupt etwas gesagt hat.
Der Präsident und Übervater Nixon steht kurz vor dem Fall – und mit ihm die amerikanischen Väter überhaupt. Ben ist in seiner Vaterrolle derart verunsichert, dass seine Kinder sich in einer Szene ernsthaft um ihn sorgen.
Sandys und Mikeys Vater Jim Carver wiederum glänzt durch seine Abwesenheit. Ben Hood ist über den gesamten Film fast öfter im Haus der Carvers zu sehen als der „Hausherr“ selbst. Als Jim, von einer Dienstreise zurückgekehrt, seinen Söhnen verkündet, er sei endlich wieder da, reagieren sie mit der Frage, ob er denn weg gewesen sei. Während die Väter arbeiten, führen die Mütter den Haushalt, kümmern sich aber jede auf ihre Weise weniger um ihre Kinder als um sich selbst. Während Janey Carver sich eiskalt nimmt, was sie braucht, ist Elena kurz davor, an ihrer Frustration zu zerbrechen.
Ang Lee ist dafür bekannt, dass er sich mit jedem seiner Filme als Regisseur neu erfindet. Immer wieder bedient er sich dazu anderer Genres, deren Konventionen er spielerisch unterläuft. Ein Thema aber durchzieht all seine Filme: das Drama der Familie.
1978 kam Lee aus Taiwan in die USA. Den Anfang seiner Filmkarriere machte die Vater-Trilogie – „Pushing Hands“ (1991), „Das Hochzeitsbankett“ (1993), „Eat Drink Man Woman“ (1994) – in der die streng patriarchal ausgerichtete konfuzianische Familienideologie und die Lebenswirklichkeit in den USA kollidieren. Während es hier noch kluge, würdige Vaterfiguren gibt, verabschiedet sich Lee mit „Der Eissturm“, für den der gleichnamige Roman des US-amerikanischen Schriftstellers Rick Moody als Vorlage diente, davon.
Lee betrachtet das verirrte Treiben dieser Familien zunächst aus einer klarsichtigen Distanz, um besonders gegen Schluss Wärme und Verständnis zu zeigen. Vielleicht ist diese gleichzeitig ruhige und emotionale Haltung nur mit dem hybriden Blick desjenigen möglich, der von sich behauptet sein ganzes Leben lang ein Fremder, zwischen den Welten gewesen zu sein. Wie die schließlich in der Nacht des Eissturms an unterschiedlichen Orten stattfindenden Geschehnisse zur Eskalation geführt werden, ist meisterhaft montiert.
Brillant sind auch die Kinderdarsteller, deren Figuren fast reifer wirken als die der sich mit der gesamten Nation in der Adoleszenz befindlichen Erwachsenen. Damit seine zerrissenen bis gefühlskalten Protagonisten endlich aus ihrer Lethargie erwachen, muss am Ende jemand sterben. Und die Väter weinen.
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