
© Stefan Gloede
Kultur: Und jeden Morgen zertanzte Schuhe
Opulent und kunstvoll, und alle machen mit: „Die zertanzten Schuhe“ im Hans Otto Theater
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Die Wiesen sind voller Blumen, die Dunkelheit voller Leben. Aber wer lenkt dies alles, gibt es da heimliche Kräfte? Es gibt sie, man kann sie sogar sehen und erkennen. In der neuesten Koproduktion der Tanzakademie Marita Erxleben mit dem Verein „Spaß am Tanz“ und dem Hans Otto Theater zum Beispiel, wo sie in der Grimmschen Märchenerzählung „Die zertanzten Schuhe“ als Blumen – und als Nachtelfen eine Wette abschließen. Wird es dem Nachtgeist gelingen, die Töchter der Königin dahin zu bringen, alles zu vergessen, was Mama ihnen beigebracht hat? Man merkt schon die Abweichung zum Original, denn dort bestimmt ein König die Geschicke, während man in der Regiearbeit von Marita Erxleben eher von Frauenquote reden könnte. Auch der Prinzessinnen sind es in dem Original ein paar weniger. Sie arbeiten auch nicht hart daran, verwunschene Prinzen in dem unterirdischen Schlosse zu erlösen, vielmehr üben sie sich dort mit der Nachtfee im ballhaften Tanz. Des Weiteren ist der Protagonist nicht Soldat, sondern ein Schuster, der die zertanzten Schuhe, wie praktisch, von seinen Schustergesellen und Schustergesellinnen in einer hübschen Szene flugs wieder ganzschustern lässt. Natürlich wird auch kein Versager gehängt, es gibt ja keinen. Gut, das Stück für Kinder ab vier Jahren will ja ausdrücklich „nach den Gebrüdern Grimm“ verstanden sein. Wie schon in früheren Produktionen – „Peterchens Mondfahrt“ zum Beispiel – hat man es auch hier wieder mit einer vielköpfigen und materialintensiven Arbeit zu tun, denn Regisseurin und Choreografin Marita Erxleben gibt nicht nur den Protagonisten und sonstigem Personal Raum zum mehr oder weniger klassischem Tanz, sondern auch den Blümchen und Kriechschnecken. Auf der märchenbunten Bühne tummelten sich bei der Premiere am Freitag Eleven von ganz klein bis ganz groß.
Worum geht es? Königin Mama findet Morgen für Morgen einen Berg zertanzter Schuhe, aber ihre Töchter mit den weißen Kleidern hüten ihr Geheimnis. Dafür schlafen sie unter den Augen der strengen Lehrerin in der Schule regelmäßig ein. Dies zu ändern, hat die fantasiebegabte Regie einen Frühsport ins Bild gefügt. Mithilfe der Blumen-Elfe (Alexandra Horn) gelingt es dem Schuster Philipp Krüger, den dunklen Wegen der Tänzerinnen in die Unterwelt zu folgen: Klar, hat er sich doch in der Königin Älteste (Davina Wölfle) verguckt. Wie sich das große Geheimnis um den Tanzball unter der Erde letztendlich löst, wird natürlich nicht verraten, dass alles gut ausgeht, steht aber schon bei Grimms Brüdern geschrieben.
Man hat es mit einer sehr farbenfrohen, klug eingerichteten und sehr fantasievollen Inszenierung zu tun, in ihrem Aufbau ein wenig an frühere Erxleben-Produktionen erinnernd. Sämtliche Parts sind mehrfach besetzt, die „Rasselbande“ sogar bis zu achtmal. Schon erstaunlich, mit wie viel künstlerischem Geschick die Regie diese vielen Köpfe auf der Bühne (Gisela Hillmann) organisiert. Es gibt Tagbilder mit einem luftigen Pavillon im Pastell-Hintergrund, Nachtbilder mit Sternglitzerhimmel hinten, Leuchtsäulen vertikal. Spinnen trifft man, ein flügel-krankes Vögelchen, Silberzweige werden lebendig, Phantasiegestalten in wunderlichen Kostümen (Julia Scheeler) tauchen auf und wieder ab. Dies alles gibt eine so publikumswirksame Märchenkulisse, dass man nach Ende der einstündigen Inszenierung Zugaberufe aus dem Publikum hört – von Kindermund wohlgemerkt. Diese Inszenierung trägt einen zarten Hauch „Sommernachtstraum“ in sich. Sie ist in narrativer Szenenführung ganz auf das Bild gebaut, auf Tanz- und Spielfreude sowie auf das Beste, die Phantasie. Nur einmal wird die Märchenebene verlassen, als eine Gruppe junger Breakdancer auf die Bühne stürmt. Toll, wie sich Mär und Wirklichkeit arrangierten! Ein durch und durch opulentes und kunstvolles Opus, sehr zu empfehlen.
Informationen zu weiteren Aufführungen unter www.hansottotheater.de
Gerold Paul
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