Von Christina Siegfried: und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus
Ein Liederabend mit Jutta Böhnert und Björn Petersen im Schlosstheater
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Es gibt sie, diese großartigen Konzerte, an deren Ende man weder applaudieren noch eine Zugabe hören will. Man wünschte, noch ein paar Minuten auf seinem Platz sitzen zu können, den Gedanken nachhängend und dem Herzen wieder Beruhigung verschaffend.
Einen dieser Nachmittage erlebte die leider nur sehr kleine Zuhörerschar im Schlosstheater am Sonntagnachmittag im Konzert der Sopranistin Jutta Böhnert und des Pianisten Björn Petersen. „Traumgekrönt“ war das Programm betitelt, nach einem der Lieder Alban Bergs, das zudem kompositorische Kostbarkeiten von Robert Schumann und Richard Strauss bereithielt. Nacht und nächtliche Träume, die Suche nach dem Glück, das Hadern mit dem Schicksal, die Verzweiflung über Verlorenes, die Angst und das Verstummen im Tod. Romantischer geht“s nicht.
Als „mein aller Romantischstes“ bezeichnete denn auch Schumann in einem Brief an Clara seinen Liederkreis op. 39, jenen Zyklus auf zwölf Gedichte Joseph von Eichendorffs, der im „Liederjahr“ 1840 entstand. Die stark assoziativen Texte inspirierten den 30-jährigen Komponisten zu kongenialen Klangbildern. Ein jedes Lied spannt eine Welt gleich einem ganzen Kosmos auf. Die meisterhaft geschilderten Naturerlebnisse finden ihre geheimnisvolle Korrespondenz in der menschlichen Seele. Jutta Böhnert und Björn Petersen versenkten sich in diese Lieder, ohne dabei zu ertrinken. Jede falsche Theatralik wurde vermieden, dafür aber stand ein hochentwickelter Sinn für feinste Facetten hinter jeder Interpretation. Die Sopranistin vermochte ihren Stimmumfang ohne jede unangenehme Forcierung auszuloten, wobei die herausragende Textverständlichkeit glücklicherweise das Fehlen der Liedtexte im Abendprogramm keinen Augenblick erinnern ließ.
Auch die „Sieben frühen Lieder“ des gerade 20-jährigen Alban Berg, denen Schönberg „eine überströmende Wärme des Fühlens“ attestierte, kommen keineswegs „atonal“ daher. Sie reichen vom emphatischen Klangwerk der „Nachtigall“ über den in emotionaler wie stimmtechnischer Hinsicht extremen Bogen von Rilkes „Träumgekrönt“ bis hin zum klanglichen Befreiungsschlag des übervollen Herzens in „Sommertage“. Spätromantisch im besten Sinne, sturm-drängerisch dazu. Auch hier erzeugt Jutta Böhnert im intensiven Glänzen ihres Soprans in kultiviertem Einsatz zwischen kraftvollem Aufziehen und makellosem Rücknehmen in schwebendes Piano einen angenehmen runder Klang. Björn Petersen begleitete mit einer ungemein klar-durchscheinenden Klanggebung selbst in der höchsten kompositorischen Verdichtung. Er ist kein Mit-Spieler. Der junge Pianist ist auf dem Weg, ein herausragenden Liedbegleiter zu werden.
Der schöne dramaturgische Bogen des Programms schloss mit den „Vier letzten Liedern“ des 84-jährigen Richard Strauss.
Was liegt zwischen den Liedern eines Zwanzigjährigen und diesen, zumal es des greisen Meisters letzte Schöpfungen sind? Ein ganzes Leben ist es, das da zu hören ist. Welch fesselnde Tonsprache, dieses freie Verfügen über musikalisches Material und geistigen Gehalt der Texte. So vieles ist eben an diesem späten Lebenspunkt das Eigene. Das ist substantiell. Die Klavierversion der Lieder ließ in der gehörten Interpretation nichts an Klangfarbe und Reichtum vermissen. Der ungemein anspruchsvolle und durchaus kräftezehrende Stimmpart, mit Eleganz, leuchtender Klarheit und echter Beseelung gesungen, fußte auch hier wieder auf einer äußerst sensiblen, fein abgestimmten Begleitung.
Ein besonderer Liederabend, durchaus. Man wünscht nur, dass die kleine Zuschauerzahl das Hans Otto Theater nicht davon abhält, derartiges öfter im Programm zu haben.
Christina Siegfried
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