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Kultur: Und wir haben Gras gekaut

Veronika Fischer und Gäste im Nikolaisaal

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Ausverkauft war am Dienstagabend der Nikolaisaal, eng saßen die Fans von Veronika Fischer in den Wolkensitzen und warteten, bis es tatsächlich kam: das Lied „Auf der Wiese“ aus dem Jahr 1975, mit dem Toprefrain „Auf der Wiese haben wir gelegen / und wir haben Gras gekaut“. Ja, das waren noch Zeiten, damals, als man mit solch harmlosen Liedchen noch ganze Menschenmassen bewegen konnte, und wer wollte, hatte die Möglichkeit, sich unter dem gekauten Gras auch das komplett verbotene Westgewächs vorzustellen und ein bisschen mit der ausdrucksstarken Stimme Veronika Fischers in den Rausch zu gelangen. Dieser Rausch war einer der Freiheit, und die feierte fröhliche Urständ ganz am Ende des Konzertes. Aber bis dahin war ein langer Weg.

Zunächst kam Veronika Fischer als Grande Dame des deutschen Popschlagers im goldenen Jäckchen auf die Bühne, sang von der Liebe und der Geborgenheit, nach der wir uns alle so sehnen. Aber ach, sie war zunächst sehr schlecht zu verstehen. Die Tonanlage reichte nicht aus, um ihre Höhen und Tiefen auch verständlich zu transportieren – wenn schon mal ein gesamtes Konzert fast ausschließlich deutsch gesungen wird, ist das schade. Das wurde nur allmählich besser. Sie rief den Vogel an: „Komm, Vogel komm/ Komm, Liebe komm“ und hinter der blonden Sängerin entspann sich ein Teppich aus Sternen und Schneeflöckchen, der immer mal wieder andersfarbig glimmte. Und sie sang auch gleich vom Schnee: „Ich sah zum Himmel wie gebannt / fing Flocken auf in meiner Hand“ und schon hatte sie die gebrochenen Herzen der Erinnerung an vergangene Zeiten auf ihrer Seite, als sie von Abschied sang, der zwangsläufig ist in der Liebe.

Aber das war dann auch ein Beginn, denn die letzte Strophe hatte Angelika Mann mitgesungen und der teilweise grenzwertigen Sentimentalität Veronika Fischers gleich mal ihre melodische Fröhlichkeit entgegengesetzt. Nachdem die beiden ihrem Franz Bartzsch im Publikum gewunken hatten, war Angelika Mann, die „Lütte“, alleine mit der Special-Events-Band und versetzte selbstironisch das Publikum in eine andere Stimmung, als sie rockig darüber klagte, immer noch allein zu sein „Warum sucht die Einsamkeit gerade mich?“ und sang sie im harmonischen Wechselgesang mit Andreas Bicking das schönste Liebeslied von 1983 „Bist du endlich da?“ Görenhaft lästerte sie dann über jene, die sie wegen ihrer Figur nur als Hexe besetzen und nicht, wie sie lautstark intonierte, als Mary Stuart.

Dann wechselten mit Veronika Fischer Atmosphäre und Licht, nach zwei Liedern der Gastgeberin ertönte neben ihr plötzlich eine helle Kinderstimme, „das Schönste dieser Welt / kostet überhaupt kein Geld“ sangen die beiden Frauen einträchtig und hatten noch ein paar schöne Zeilen aus dem Musical „Das Kind und der Kater“ parat wie: „Die anderen tragen ins Büro den Hut/ aus ihren Augen fallen / nur Bilanzen“, dann war Anne Bicking allein mit ihrem Vater und der restlichen Band und sang noch ein wenig charaktersuchend die einzigen englischsprachigen Songs des Abends. Ihr Vater war ja dabei und half ihr mit dem Saxophon und einem aufmunternden Lächeln.

Ulla Meinecke brachte dann eine weniger sentimentale Stimmung mit, ein wenig aufmüpfiger sind ihre Texte als die von Veronika Fischer, Gefühle werden mit der Hand weggewischt, nicht immer von Liebe gesprochen, eher davon „wenn zwei zusammen passen“. Meinecke ist lakonisch, wenn Fischer in ihren Naturmetaphern schwelgt, sie kann natürlich auch begeistert sein, wenn sie über ihre Schreiberfahrungen spricht, aber sie ist in keinem Fall kitschig.

Vielleicht ist es ja aber gerade diese Grenze zwischen Kitsch und realem Gefühl, diese Balance, die Veronika Fischer in ihren Liedern und mit ihrer kräftigen Stimme findet, die ihre Fans überzeugt. Jedenfalls waren auch nach dreißig Jahren viele ergriffen von der Frau, die damals die Freiheit hatte, vom Gras zu singen. Und am Ende sangen alle Frauen im Chor „was ist dabei wenn man sich liebt / was ist dabei wenn man sich frei fühlt?“ Ja, was ist denn schon dabei?Lore Bardens

Lore Bardens

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