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Von Peter Buske: Unendliche Fahrt durch Seelenabgründe Begeisterung für „The Fall of the House of Usher“

Wer lässt schon gern in sein Innerstes blicken. Am wenigsten Roderick Usher, Künstler durch und durch und unter Depressionen leidend.

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Wer lässt schon gern in sein Innerstes blicken. Am wenigsten Roderick Usher, Künstler durch und durch und unter Depressionen leidend. Jugendfreund William wird dringlich zur Leidenslinderung eingeladen. Er kommt, entdeckt merkwürdige Zusammenhänge und Rodericks Zwillingsschwester Madeline, von der er nie etwas wusste. Sie sei krank, lautet des Freundes Auskunft. Plötzlich verstirbt sie und wird in der Familiengruft beigesetzt. Und zwar lebendig, wie sich später herausstellt. Der Untergang des Hauses Usher ist unausweichlich. Zum Finale hin bröckelt Deckenputz auf den Boden.

Edgar Allen Poe hat das surreale Geschehen in seiner Kurzgeschichte „The Fall of the House of Usher“ niedergeschrieben, Philip Glass mit seiner Minimal Music zu einer unendlichen Fahrt durch Seelenabgründe vertont.

Am Freitag erlebte diese in Englisch gesungene, per Übertitel nachlesbare Psychoanalyse nebst Orts- und Zeitangaben ihre anhaltend umjubelte Premiere im Schlosstheater im Neuen Palais. Einen größeren Gegensatz zwischen dem Flair des friderizianischen Rokokotheaters und der spartanischen, schwarz ausgeschlagenen Einheitsbühne hätte es bei diesem gelungenen Start in die 5. Saison der Potsdamer Winteroper kaum geben können. Hatte man anderes vom international renommierten Regisseur und Bühnenbildner Achim Freyer erwartet?!

Von seiner Kunst der szenischen Reduktion geht eine Suggestion aus, die fasziniert, obwohl auf der Bühne kaum Aktion im herkömmlichen Sinne stattfindet. Konsequent verweigert er sich jedweden realistischen Deutungsansatzes. Er illustriert weder eine Horrorgeschichte noch psychiatrische Befunde über den Wahnsinn. Stattdessen entdeckt er in der Figur des Roderick den suchenden, zweifelnden, stets von des Gedankens Blässe angekränkelten Künstler. Vier Leuchtstoffstäbe strukturieren in wechselnden Konstellationen das Geschehen. Was wir in der atmosphärisch dichten Inszenierung sehen, spielt sich alles in Rodericks Kopf ab: er ist in ein Gedanken-Gefängnis eingeschlossen, aus dem es kein Entrinnen gibt, unerreichbar für andere. Wie die von ihm ideengeborene, dann begrabene Schwester Madeline, gleichsam die Muse des Künstlers. Eine ungewöhnliche, spannende, restlos überzeugende Lesart der Story.

Um die Irrationalität des Geschehens zu versinnbildlichen wird jedes Individuum (außer Madeline) sowohl durch einen Sänger als auch einen pantomimisch versierten Mimen (Mitglieder des Freyer-Ensembles) dargestellt, um vorzuführen, was eine Person nur denkt oder doch mit rhythmischer Prägnanz und genauester Silbenartikulation sprechgesangsartig ausspricht. Neben den Protagonisten gehören dazu auch Diener und Arzt, die einem Künstler bekanntermaßen symbiotisch verbunden sind. Diese Sängerdoubles sorgen für Aktionen auf Sparflamme: das schier unendliche, unentwegt auf der Stelle tretende Hinrennen von William zu Roderick, die Trauerprozession am Sarg entlang Ein beeindruckender Einfall: ihr lauerndes Beobachten des Szenegeschehens durch die Vorhänge oder von den Seiten her. Dann sieht man nur ihre weiß geschminkten Köpfe, da die Körper in schwarzen Trikots stecken.

Keiner nimmt den anderen war, auch dies beklemmende Regieabsicht. Nicht weniger konsequent das Vermeiden von Körper- und Blickkontakten der Sänger-Darsteller. Meik Schwalm als Roderick singt mit kräftig-tenoralem Strahlen nur durch den Hintergrundvorhang stur nach vorn, während Matteo de Monti als William mit markantem, kraftvollem und etwas angerauchtem Bariton gleichsam als singende Büste immer wieder hinter dem Orchestergräbchen auf der Vorbühne auftaucht. Esther Lee als Madeline singt bei ihrem unentwegten, kerzenhaltenden und langsamen Gleitschreiten die herrlichsten und ebenmäßigsten Sopranvokalisen. Bewunderungswürdig, wie auch sie bei den scheinbar monotonen musikalischen Linien die Einsätze findet. Eine hochkonzentrierte Singarbeit.

Die mit Streichquartett, Flöte, Klarinette, Fagott und Horn sowie Gitarre, Synthesizer und Schlagzeug klangapart besetzte Kammerakademie Potsdam stürzt sich unter Leitung von Michael Sanderling in die ätherische, dann wieder banale bis kraftstrotzende Musikmotorik. Ihr kann man sich nur schwerlich entziehen, denn sie bohrt sich ohrwurmgleich und penetrant in die kleinen grauen Zellen. Dass ihre schier endlosen, nur minimal abgewandelten Wiederholungen einen auf Dauer nicht ermüden, gehört mit zu den Vorzügen dieser Produktion.

Peter Buske

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