Kultur: Unerreichte festliche Wirkung Weihnachtsoratorium in der Erlöserkirche
Potsdam im Dezember: Regen, 10 Grad Wärme – weihnachtliche Stimmung kommt da kaum auf. Doch die Potsdamer wissen, wie es geht.
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Potsdam im Dezember: Regen, 10 Grad Wärme – weihnachtliche Stimmung kommt da kaum auf. Doch die Potsdamer wissen, wie es geht. Sie besuchen alle Jahre wieder eine der Aufführungen des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach. Noch jedes Mal, wo diese Musik live erklingt, waren Kirche und andere Orte gut gefüllt. Das zeigt zweierlei: Bis heute reicht wohl nichts an die festliche Wirkung des Weihnachtsoratoriums heran. Und: Die Potsdamer verzichten nicht auf ihr Weihnachtsoratorium, gerade nicht in einer Zeit, in der so viele Veranstaltungen um ihre Gunst konkurrieren.
Selbst bei der zweiten Aufführung in Folge hinterließen die Potsdamer Kantorei und das Neue Kammerorchester Potsdam unter der Leitung von Ud Joffe einen sehr guten Eindruck. Viele Menschen verließen mit zufriedenen Gesichtern die Erlöserkirche. An den traditionell musikfreien Adventssonntagen hatte Johann Sebastian Bach genügend Zeit, um im Jahr 1734 aus diversen musikalischen Puzzleteilen ein neues Oratorium für die Tage nach Weihnachten zu schaffen.
Nicht weniger als 17 Stücke dafür stammten aus weltlichen Festkantaten zu verschiedenen Anlässen. So beruht der große Anfangschor des dritten Teils „Herrscher des Himmels“ auf der Vorlage „Blühet, ihr Linden in Sachsen“, die Bassarie „Großer Herr, starker König“ auf einer Komposition mit dem Text „Kron und Preis gekrönter Damen“. Im skeptischen und zugleich streng religiösen Barock waren, ähnlich wie heute, Parodie und Zitat übliche künstlerische Verfahren. Entscheidend blieben Wirkung und Effekt – die zumindest beim Weihnachtsoratorium bis heute anhalten.
Dafür sorgte nicht zuletzt das gut aufgelegte Neue Kammerorchester Potsdam mit anmutigen Oboen, sanft gerundeten Soloflötentönen und einer zauberhaften Solovioline. Graziös, elegant, mit leicht vibrierender Unruhe erklingt die Sinfonia. Von den vier Solisten erfreut Regina Jacobi, Alt, mit bewährt ausgewogener, gut geführter Stimme und klarem Timbre. Die berühmte Arie „Schlafe mein Liebster“ gelingt ohne Fehl und Tadel.
Bei diesen himmlischen Tönen glaubt man leicht daran, dass schöne Musik nur gute Gedanken und Gefühle hervorbringen kann. Auch die junge Susanne Ellen Kirchesch, mehrfache Preisträgerin, erfüllte ihren nicht sehr umfangreichen Part mit glockenheller Intonation. Als Evangelist überzeugte Michael Zabanoff voll und ganz, in den Arien geriet er bei den Koloraturen gelegentlich ins Flattern. Bassist Egbert Junghanns lobte den „Großen Herrn, starken König und liebsten Heiland“ mit schwungvoller Inbrunst und gab einen stimmlich gut passenden Partner in den Duetten ab.
Die etwa 120 Chorstimmen leuchteten in fein ausgewogenen, strahlenden Klangfacetten, wirkten jedoch gelegentlich schon etwas forciert, wahrscheinlich durch die Anstrengung der Wiederholung und die recht hohen Tempi, etwa bei Nr. 21 „Ehre sei Gott“, das wie ein Turba-Chor klang. Nun freut man sich auf den zweiten Teil des Weihnachtsoratoriums im neuen Jahr. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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